Schlechte Nachrichten aus China: Zwingt Corona Putin in die Knie?
17. März 2022Die schlechten Nachrichten für Russlands Präsident Wladimir Putin kamen am Dienstag aus Peking: China schickte 30 Millionen Menschen in einen massiven Corona-Lockdown. Unternehmen mussten schließen, der Flugverkehr wurde in einigen Regionen fast vollständig eingestellt. Weil die Regierung in Peking an ihrer Null-Covid-Strategie festhält, gibt es nur wenige natürliche Infektionen. Die Omikron-Welle hat das Land daher mit voller Wucht erfasst. Das wirtschaftliche Leben kam weitgehend zum Stillstand. Es ist nicht abzusehen, wie lange dieser dauert. Die erste Folge: Der Ölpreis notierte am Mittwoch erstmals seit Kriegsbeginn unter 100 Dollar pro Barrel.
Nach der Verhängung der drastischen Sanktionen ist ein hoher Ölpreis für Russland aber die einzige Hoffnung, einen wirtschaftlichen Total-Crash zu vermeiden. Wenn Chinas Wirtschaft längere Zeit lahmt, wird es für Russland eng: Rückläufige Einnahmen aus Energie-Exporten nach Asien kann Russland nicht kompensieren. Die Antwort der Weltgemeinschaft auf den russischen Überfall auf die Ukraine war eindeutig: Die meisten Staaten des Westens brachen de facto die Wirtschaftsbeziehungen ab, in einer Weise, die beispiellos ist: Banken, Autohersteller, Technologie, Luxusgüter – nichts geht mehr, und die Abwanderung vieler großer Unternehmen aus Russland dürfte von Dauer sein. China ist die letzte Stütze für Putin, und Peking hält sich trotz der rhetorischen Ablehnung des russischen Angriffskriegs weiter zurück. Doch wenn sich wegen der Lockdowns die wirtschaftliche Lage in Asien verschlechtert, kann auch die Kommunistische Partei Moskau nicht mehr helfen.
Vor diesem Hintergrund sind die verstärkten Bemühungen Moskaus zu sehen, mit der Regierung in Kiew zu einem Waffenstillstand und vielleicht sogar zu einem Friedensplan zu kommen. Ein solcher wurde am Mittwoch von beiden Seiten präsentiert, in Form eines 15-Punkte-Plans. Natürlich sollte man mitten im Krieg nicht allzu viel auf solche Vorschläge geben, sie sind oft taktischer Natur, um an der Front Zeit zu gewinnen.
Doch selbst die Financial Times (FT) aus London, die naturgemäß den russischen Worten wenig Glauben schenkt, schrieb am Mittwoch Russland und die Ukraine hätten „signifikante Fortschritte“ mit dem Entwurf zu einem Friedensplan gemacht, welcher „einen Waffenstillstand und einen russischen Rückzug umfasst, falls Kiew die Neutralität erklärt und Beschränkungen seiner Streitkräfte akzeptiert“. Laut der FT soll das vorgeschlagene Abkommen beinhalten, dass Kiew seine Ambitionen aufgibt, der Nato beizutreten, und verspricht, keine ausländischen Militärbasen zuzulassen oder Waffensysteme zu kaufen.
Im Gegenzug solle die Ukraine Sicherheitsgarantien durch die USA, Großbritannien und die Türkei erhalten. Sollte diese Formulierung wirklich Bestand haben, wäre es für die Ukraine ein erheblicher Erfolg. Denn ein unmittelbarer Nato-Beitritt war schon vor dem russischen Überfall entgegen der Behauptungen aus Moskau nie ein Thema in der westlichen Militärallianz gewesen.
Für die Neutralität sind verschiedene Modelle in der Diskussion: Vor allem Schweden und Österreich könnten als Vorbild dienen. Die schwedische Neutralität ist wesentlich weniger strikt als die österreichische. Stockholm orientiert sich mit seiner Sicherheitspolitik seit vielen Jahren eng an den transatlantischen Ausrichtungen. In den Bereichen Aufklärung und Technologie spielt das skandinavische Land eine wichtige Rolle als Partner. Der entscheidende Unterschied zwischen der Neutralität Schwedens und der Österreichs ist, dass Wien nicht freiwillig erklärt hat, keinem Militärbündnis beizutreten: Die strikte Neutralität „nach Schweizer Vorbild“, wie es im Staatsvertrag aus 1955 heißt, war die Voraussetzung für den Truppenabzug der sowjetischen Arme nach dem Zweiten Weltkrieg. Die österreichische Delegation hatte die vollständige territoriale Integrität und den Abzug aller ausländischen Truppen in langen Verhandlungen in Moskau erstritten.
Das Beispiel Österreichs zeigt, dass Neutralität eine kreative Lösung sein kann, aber dass sie auch kein Selbstläufer ist: Nach 1955 führte die Bündnisfreiheit dazu, dass Wien zu einem Ort des Dialogs und der Verständigung wurde. Anders als die Schweiz, deren Neutralität über Generationen vor allem nach innen gerichtet ist, hat Österreich vor allem unter seinem legendären Bundeskanzler Bruno Kreisky versucht, eine aktive Rolle bei der Vermittlung in internationalen Konflikten zu spielen. So wurde Wien unter anderem Sitz von mehreren UN-Organisationen.
Kreisky, der nach der Machtübernahme der Nationalsozilisten als Jude nach Schweden emigrierte und nach dem Krieg mit einer sehr weltläufigen Perspektive zurückkehrte, vermittelte unter anderem im Nahost-Konflikt. Die diesbezüglichen Initiativen blieben allerdings erfolglos, wobei Kreiskys Parteinahme für die Sache der Palästinenser auch heute noch als avantgardistisch bezeichnet werden kann.
Österreich hielt auch während des Kalten Krieges enge Kontakte nach Osteuropa – und zwar sowohl auf Regierungsebene als auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene. Die zivilgesellschaftlichen Kontakte wandten sich vor allem an die Oppositionsbewegungen, wie etwa die Dissidenten in der Tschechoslowakei, die nach dem Prager Frühling 1968 aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wurden, oder einer breiten Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn nach dem brutalen Vorgehen der UdSSR gegen eine aufkeimende Demokratisierung in Budapest im Jahr 1956. Auch zu der polnischen Solidarnosc-Gewerkschaft unterhielten österreichische Gewerkschafter enge Kontakte – während die damalige Bundesregierung einen Gesprächskontakt zum Brachial-Regime des Generals Jaruzelski offenhielt.
Problematisch wurde die Nähe zu Russland nach dem Ende der Sowjetunion: Zahlreiche österreichische Politiker kamen in den Genuss von lukrativen Managerverträgen bei russischen Energieunternehmen oder den russischen Staatsbahnen. Ähnlich wie Gerhard Schröder hielten die früheren Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ), Wolfgang Schüssel (ÖVP) und zuletzt Christian Kern (SPÖ) die Hand auf. Besonders unangenehm fiel die parteilose FPÖ-Außenministerin Kathrin Kneissl auf, die Putin zu ihrer Hochzeit einlud und ihm eine höfische Verbeugung gewährte. Kneissl steht bis heute auf der russischen Gehaltsliste und ließ auch nach den Sanktionen verlauten, dass sie nicht daran denke, auf das Geld zu verzichten. Einzig Christian Kern ging nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Distanz zu Putin und legte seine Mandate nieder.
Die Selbstbedienung der österreichischen Politiker hat auch dem Image der Neutralität in Österreich geschadet: Wegen des korrumpierenden Verhaltens der Begünstigten sahen viele Österreicher vor dem Krieg in der Ukraine die Neutralität nicht mehr als edles Ziel für das Land. Zugleich machte sich die rechtsextreme FPÖ für die Neutralität stark – obwohl diese Partei jahrelang einen Partnerschaftsvertrag mit Putins Kreml-Partei „Einiges Russland“ unterhielt. Zugleich öffnete sich Österreich gegenüber der Nato und erlaubt seit einigen Jahren ganz selbstverständlich Durchfahrten von Militärkonvois und hat auch sonst mit der Nato ein partnerschaftliches Verhältnis entwickelt.
Für die Ukraine könnte das österreichische Modell attraktiv sein, allerdings nur, wenn man es nicht von hinten aufzäumt: Schon heute haben viele ukrainische Oligarchen wie etwa der frühere Präsident Petro Poroschenko wirtschaftliche Interessen auch in Russland. Wenn das Neutralitätsmodell der Absteckung von ökonomischen Claims einzelner Oligarchen dient, dürfte eine Modernisierung des Landes nicht so rasch zu verwirklichen sein. Diese ist allerdings dringend notwendig, weshalb auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Interesse an einer Modus Vivendi mit Russland haben könnte.
Das größte Problem für Selenskyj ist allerdings, dass nach dem russischen Überfall nicht mehr klar ist, aus welchen Teilen sich Russland zurückziehen wird. Die russische Armee scheint jedenfalls einen Landkorridor zwischen den abtrünnigen Republiken und der Krim erkämpft zu haben. Der Blick auf die Karten zeigt außerdem signifikante Geländegewinne der Russen im Norden des Landes. Die Rückgabe dieser Landflächen könnte Russland als „Deal“ für die Donbass-Republiken und die Krim anbieten.
In jedem Fall bleiben zwei Probleme: Welche Lösung auch immer kommt: Für Russland hat sich dann der Überfall gelohnt – eine Schreckensvision für die freiheitlichen Demokratien im Westen, weil damit das Signal gesendet wird, dass militärische Gewalt mitten in Europa im 21. Jahrhundert zum Erfolg führt. Andererseits werden die Ukraine und Russland nur dann einen dauerhaften Frieden erreichen, wenn beide Staaten demokratische Strukturen nachhaltig etablieren, dem Rechtsstaat zum Durchbruch verhelfen und Transparenz und Compliance als wirksamstes Mittel gegen die grassierende Korruption sicherstellen. Nur so kann beiden Staaten, in welcher Form sie auch immer erscheinen mögen, der Weg in eine moderne und freiheitliche Gesellschaft gelingen.