Experten warnen: Corona ist noch lange nicht vorbei

Experten warnen: Corona ist noch lange nicht vorbei

24. März 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 23.03.2022 18:11 Uhr

Der Greifswalder Bioinformatiker Lars Kaderali und der Landrat von Ludwigslust-Parchim, Stefan Sternberg (SPD), sind Mitglieder des Corona-Expertenrat des Bundes. Die beiden Fachleute sind sich sicher: Corona ist noch lange nicht ausgestanden. Insbesondere eine drohende Entwicklung sehen sie mit Sorge.

Derzeit liegt die Zahl der Corona-Infektionen in Mecklenburg-Vorpommern auf einem Höchststand. Die Sieben-Tage-Inzidenz bewegt sich zwischen 2.400 und 2.500, in den Krankenhäusern werden etliche Covid-Patienten behandelt und zugleich kommt es wegen hoher Krankenstände und Quarantäne-Zeiten zu Personalengpässen in Betrieben, in Krankenhäusern und in Einrichtungen der (kritischen) Infrastruktur. Für den Bioinformatiker Kaderali, der in Corona-Fragen auch die Landesregierung berät, ist das nicht verwunderlich, wie er gegenüber dem NDR erklärt. Die Personalausfälle seien eine direkte Konsequenz der steigenden Infektionszahlen. „Das kann man ganz einfach ausrechnen: Wir haben eine Sieben-Tage-Inzidenz von etwa 2.400. Wenn man davon ausgeht, dass die Leute zwei Wochen ausfallen, dann sind das fünf Prozent der Bevölkerung, die akut zu diesem Zeitpunkt krank sind.“ Darauf komme eine Dunkelziffer mit dem Faktor zwei oder drei. „Dann sind wir ganz schnell bei zehn oder 15 Prozent.“ Dazu kämen die Elternteile, die dann die Kinderbetreuung übernehmen müssten. „So kommen eben diese hohen Ausfallquoten in allen Bereichenzusammen. Das ist überhaupt nicht überraschend.“

Insbesondere in den Krankenhäusern sowie im Bus- und Bahnverkehr des Landes führt die Infektionswelle zu Problemen.

Landtag entscheidet über Verlängerung der Maßnahmen

„Ein bisschen gaukeln wir den Menschen vor, dass Corona vorbei ist“, sagt Landrat Sternberg bei NDR MV Live. Doch das sei ein Irrtum. Anhand des vom Bund jüngst beschlossenen Infektionsschutzgesetzes, seien die Instrumente des Landes nur noch sehr begrenzt. „Das sehen wir hier vor Ort in Mecklenburg-Vorpommern sehr, sehr deutlich“, so Sternberg. Diese begrenzten Mitteln nutze das Land jetzt. „Ob es am Ende reicht, oder ob wir uns nicht insgesamt gemeinschaftlich etwas vormachen und in eine nächste Situation stolpern, in die wir nie stolpern wollten, das werden die nächsten Tage zeigen“, ist der Landrat überzeugt. Am Donnerstag will der Landtag Mecklenburg-Vorpommerns darüber entscheiden, ob die derzeitigen Corona-Schutzmaßnahmen über den 2. April hinaus bis zum 27. April verlängert werden, so wie es die Landesregierung am Dienstag empfohlen hatte.

Die Legende vom leichten Omikron-Verlauf

Kaderali sieht mit Bedenken, dass sich in der Bevölkerung eine „Legende vom leichten Omikron-Verlauf“ festgesetzt habe. „Und da muss man einfach ganz klar sagen: Das Omikron-Virus ist nicht mild, sondern die Verläufe sind vergleichbar mit dem ursprünglichen Wuhan-Virus, also der ersten Variante. Dass jetzt viele nicht so schwer erkranken, liegt schlicht an den Impfungen – und nicht an dem milderen Virus“, so Kaderali. Aber was ist die Konsequenz daraus? Sollten Öffnungsschritte zurückgenommen werden? Kaderali plädiert für eine regionale Differenzierung. „Wir haben bundesweit Sieben-Tage-Inzidenzen, die auch hoch sind. Aber die Krankenhausauslastung, insbesondere auf den Intensivstationen – dort liegen Moment etwa 2.500 Patienten, wir hatten im Maximum aber mal 6.000 – da sind wir also zumindest, was den Intensivbereich angeht, von einer hohen Auslastung weit weg.“ In Mecklenburg-Vorpommern sei die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen vor ein paar Tagen wieder über 100 Patienten gestiegen. „Und damit sind wir sehr, sehr nahe dran am Allzeit-Maximum. Und dementsprechend muss man wirklich regional differenzieren und auch regional dann in Hotspots eben wieder zurück gehen mit Maßnahmen und mit Lockerungen.“

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Vorbereitungen für den Herbst treffen

Sternberg ist davon überzeugt, dass es jetzt wichtig sei, die Zeit nach dem Sommer in den Blick zu nehmen. „Ich glaube, wir müssen jetzt alle Kraft darauf setzen, dass wir uns in den nächsten Wochen definitiv auf die Zeit nach den Sommerferien und im Frühherbst vorbereiten. Das wird jetzt eine wirkliche Kernaufgabe. Nicht, dass wir in das Gleiche stolpern wie letztes Jahr.“ Seinerzeit war im Bundes- und Landtagswahlkampf das Thema Corona nahezu ganz aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden, um dann mit voller Wucht zurück zu kommen.

Comeback der Delta-Variante im Herbst?

Ein spezielles Comeback hält Sternberg auch in diesem Herbst für möglich – die Rückkehr der Delta-Variante. Im Expertenrat des Bundes werde dies bereits „ganz intensiv“ besprochen. Tückisch sei, dass die Omikron-Erkrankungen nicht automatisch vor Delta schützen würden. Durch die derzeitige hohe Infektionsrate in der Bevölkerung gebe es zwar für einige Monate eine gewisse Stabilität, doch die werde wieder abnehmen, meint Sternberg. „Und man sieht bereits in anderen Ländern auf dieser Welt, dass sich die Delta-Variante dann an Omikron vorbeischiebt. Und die Delta-Variante ist ja die wesentlich gefährlichere Variante, die auch gerade in den Bereich der jüngeren Menschen geht, die sehr, sehr schwere Krankheitsverläufe haben.“

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„Alle sind Corona-müde“

Deshalb komme es jetzt darauf an, dafür zu sensibilisieren, in welchen Bereichen man sich impfen lassen sollte, „dass man sich Boostern lassen sollte und wie es auch weitergeht, dann vielleicht mit auch einem angepassten Impfstoff, der dann auf Omikron oder Delta noch ein Stück weit besser reagiert.“ All dies würden die Aufgaben der nächsten Wochen sein. „Alle sind Corona-müde. Wir brauchen auch diese Zeit zum Durchatmen, aber die Zeit zum Durchatmen darf nicht beim Bürger den Eindruck erwecken, dass alles vorbei ist, weil das ist es schlicht nicht“, so Sternberg.

„Im Herbst ist die Coronavirus-Pandemie nicht vorbei“

Auch Kaderali hält es für denkbar , dass die Delta-Variante noch einmal zurückkommt. „Das wäre problematisch, weil eben die Omikron-Infektion nicht gut vor einer Infektion mit Delta schützt – im Unterschied zur Impfung eben. So dass da tatsächlich eine Immunitätslücke besteht.“ Kadrali hält mit Blick auf den Herbst auch eine Rekombination aus Omikron und Delta für möglich. „Es kann sein, dass wir noch mal eine Omikron-Variante bekommen oder auch eine völlig neue Variante. Ich denke, das einzige, was man sicher sagen kann, ist, dass im Herbst die Coronavirus-Pandemie nicht vorbei sein wird.