„An den Stellen wird das Virus weggefetzt“ Nochmal Boostern vor dem Urlaub? Immunologin sagt, für wen das Sinn macht

„An den Stellen wird das Virus weggefetzt“ Nochmal Boostern vor dem Urlaub? Immunologin sagt, für wen das Sinn macht

14. April 2022 Aus Von ...Linda Gerke
Manche Menschen überlegen, sich vor dem Urlaub noch einmal impfen zu lassen. Christine Falk rät den meisten davon ab.

Coronavirus - Novavax-Impfungen in Braunschweig

Donnerstag, 14.04.2022, 11:06

Kurz vor dem Urlaub noch schnell die vierte Corona-Impfung abholen – ist das eine gute Idee? Die Infektionszahlen sind ja in vielen Ländern weiter hoch. Das und mehr haben wir die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, gefragt.

Die Osterferien haben begonnen, auch der Sommerurlaub rückt in greifbare Nähe. Viele Menschen überlegen jetzt, sich vor der Reise noch ein weiteres Mal impfen zu lassen. Aber ist das wirklich sinnvoll? Wir haben bei Christine Falk, der Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie nachgefragt.

FOCUS Online: Frau Falk, mal angenommen ich möchte in den Urlaub fahren: Soll ich mich vorher noch schnell ein weiteres Mal boostern lassen?

Christine Falk: Dazu würde ich Ihnen nicht raten. Vorausgesetzt Sie haben ein gesundes Immunsystem und sind unter 70.


Das heißt bei 70 ziehen Sie eine Grenze?

Falk: Auch das kann man so pauschal nicht sagen. Wer fit ist in diesem Alter, keine Medikamente nimmt und keine Vorerkrankungen hat, braucht sich in aller Regel nicht impfen zu lassen. In allen anderen Fällen würde ich sagen: Sprechen Sie mit Ihrem Arzt. Im Zweifel kann es Sinn machen, den Status der Antikörper zu überprüfen.

Sind diese sehr niedrig, kann über eine vierte Impfung nachgedacht werden. Auch für Menschen mit metabolischem Syndrom, nach Transplantationen oder während einer Krebstherapie ist die weitere Impfung zu überlegen. Grundsätzlich sollten wir uns vom vierten Pieks aber nicht allzu viel versprechen. Beim Immungesunden ist der zusätzliche Schutz durch die weitere Immunisierung wirklich zu vernachlässigen.


Über die Expertin
Christine Falk ist Professorin am Institut für Transplantationsimmunologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. 

Sie meinen, da genügt die Grundimmunisierung?

Falk: Aus den Studien sehen wir, dass der Schutz auch vor Infektion mit der dritten Impfung, dem Booster, nochmals besser wird. Dafür ist übrigens nicht entscheidend, in welcher Kombination ich die Impfungen bekommen habe, ob ich zuerst mit Astrazeneca und dann mit einem mRNA-Impfstoff geimpft wurde oder nur mit mRNA-Impfstoffen.

Nach der dritten Impfung haben alle Impflinge mit einem funktionierenden Immunsystem ein sehr gutes und langanhaltendes Immungedächtnis gebildet. Dass die Antikörper im Laufe der Zeit weniger werden, ist ganz normal. Antikörper sind nur ein Teil der Abwehr. Wir wissen, dass bei Bedarf, im Falle einer Infektion also, B-Zellen und Plasmazellen wieder aktiviert werden, die sich im Knochenmark und in den Lymphknoten „verstecken“ und auf ihren Einsatz warten. Das Immunsystem erinnert sich, weiß dann blitzartig, was es tun muss, um den Eindringling in Schach zu halten.


Im Moment stecken sich aber doch sehr viele geimpfte Menschen mit Omikron an…

Falk: … ja, um das zu vermeiden, bräuchten wir etwas, was wir Schleimhautimmunität nennen. Das ist eine andere Antikörperklasse, die sich dort anreichert. Das Problem, das uns Omikron beschert, ist, dass auch diese Variante durch den Nasen- und Rachenraum infiziert. In einem Bereich also, in dem es ohne die sogenannte mukosale, also Schleimhautimmunität nicht so gut abgefangen werden kann.

Das bedeutet aber nicht, dass wir diesem Virus als Geimpfte schutzlos ausgeliefert sind. Im Gegenteil: In aller Regel sorgt die sogenannte systemische Immunantwort in Blut und Lymphknoten nach drei Impfungen sehr sicher dafür, dass sich das Virus nicht in den tieferen Atemwegen ausbreiten und damit eine Lungenentzündung  verursachen kann. Durch diesen Impfschutz sehen wir im Moment so wenig schwere Verläufe. Man kann es auch anders ausdrücken: Wenn wir geimpft sind, uns infizieren und ein paar Tage lang krank fühlen, ist das ein gutes Zeichen.


Das müssen Sie erklären.

Falk: Naja, die Leute spüren dann, dass ihr Immunsystem arbeitet. An den Stellen, an denen es bedenklich werden könnte, wird das Virus quasi „weggefetzt“. Dass man sich vorübergehend schlapp fühlt und keinen Appetit hat, ist natürlich sehr unangenehm, aber auch das kann man durchaus positiv sehen: Das Immunsystem strahlt auf  andere Organsysteme aus. Jede überflüssige Kraftanstrengung wird vermieden.

Auch für mich ist es immer wieder faszinierend zu sehen, was unser Körper da leistet. Und auch wie gut wir ihn durch Impfung und Booster unterstützen können. Damit haben wir mit den derzeit zugelassenen Impfstoffen sozusagen das Maximale rausgeholt. Eine vierte Impfung könnte bei immungesunden Personen nicht mehr viel zusätzlich bewirken. Auch das haben Studien klar gezeigt.


Ohnehin ist ein Impfstoff gegen Omikron im Moment ja noch gar nicht verfügbar. Wenn er bereits da wäre: Würden Sie die Situation dann anders bewerten?

Falk: Nein, zum jetzigen Zeitpunkt würde ich auch dann bei meiner Aussage bleiben. Die dritte Impfung ist echt wichtig, das kann man nicht oft genug betonen. Bitte holen Sie sich Ihren Booster. Bei der Impfung gegen das Omikron-Spike-Protein müssen wir schlicht abwarten, was uns die Studien zeigen werden.

Im Herbst sollten wir mehr wissen. Ich kann mir schon vorstellen, dass eine weitere Impfung noch neue Spezifitäten hervorbringen kann – aber das muss erst noch eindeutig gezeigt werden. Omikron hat eine etwas andere Oberflächenstruktur als Alpha oder Delta, aber so gravierend ist der Unterschied nicht, dass die jetzige Impfung gar nicht mehr wirken würde.

Ob die neue Impfung neue Antikörper machen wird? Nochmal: das ist abzuwarten und muss sauber nachgewiesen werden. Und natürlich stellt sich ganz generell die Frage, ob das wirklich Sinn macht, sich von nun an in regelmäßigen Abständen immer wieder neu mit entsprechend angepassten Impfstoffen immunisieren zu lassen. Die dazu vorliegenden Daten weisen nicht in diese Richtung.


Die Alternative ist allerdings im Fall von Omikron die Infektion, nicht wahr?

Falk: Da holt uns die Realität ein: Wir alle wollen unser soziales Leben zurück. Wir wollen Bus fahren, ins Theater gehen, ins Restaurant. Heißt: früher oder später wird es sehr wahrscheinlich jeden erwischen. Ich selbst bin bisher von Omikron verschont geblieben, aber ich mache mir da nichts vor, so wird es nicht bleiben.


Bedeutet das, Sie würden bedenkenlos in den Urlaub fahren?

Falk: Ja, würde ich. Natürlich kann man versuchen, den Zeitpunkt der Infektion ein wenig zu steuern. Ich hatte zuletzt ein paar berufliche Termine, die ich nur schwer hätte verschieben können. Als ich mich mit Freunden verabredet habe, habe ich gesagt: Lasst uns besser nicht in dieses kleine, kuschelige Restaurant gehen, sondern in das mit den hohen Räumen, in dem man mit viel Abstand sitzt. In den letzten paar Wochen wäre eine Infektion einfach richtig ungünstig für mich gewesen.


Und wenn Sie nun verreisen würden, würden Sie es darauf ankommen lassen?

Falk: Das nicht, im Urlaub ist krank sein ja das Letzte, was man will. Wenn ich mich entsprechend verhalte, kann ich das Risiko zumindest ein Stück weit reduzieren. Ganz ehrlich, wie steckt man sich an? Indem man das Virus in Nase oder Rachen einatmet. Frage im Umkehrschluss: Wie schützt man sich? Genau, mit einer Maske. It’s not magic!


Und wenn es eben doch passiert und ich mich in der Ferne plötzlich krank fühle?

Falk: Dann habe ich hoffentlich meine Hausapotheke dabei. Ibuprofen, Aspirin, die üblichen Erkältungsmittel. Auch das ist nicht magisch, auch hier sollten wir uns einfach genauso verhalten, wie der gesunde Menschenverstand es uns seit jeher sagt.