Kriegsfolgen – Indiens Durst nach Russlands Öl
7. August 2022Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine haben zahlreiche Länder den Import von russischem Erdöl gestoppt. Davon profitiert vor allem Indien. Denn durch den Boykott westlicher Länder ist russisches Öl besonders billig.
Im stickigen Büro einer Tankstelle in Delhi diskutiert die Belegschaft über ihren Arbeitsalltag. Auf den Straßen Indiens ist mittlerweile wieder genauso viel los wie vor der Pandemie. Entsprechend gut zu tun haben auch die Tankstellen. Die kleinen Angestellten verdienen deshalb aber nicht mehr Geld. Die Gewinne streichen andere ein, schimpft Tanklasterfahrer Ansar: Die Raffinerien, sagt er, machten gerade den großen Reibach.
Indiens Raffinerien versorgen sich seit jeher größtenteils mit importiertem Rohöl. Die Golfstaaten sind traditionell ein wichtiger Lieferant, aber auch die USA. Doch es hat sich etwas verändert: Heimische Raffinerien beziehen mehr und mehr Rohöl aus Russland. Und zwar seit Beginn des Angriffskrieges in der Ukraine.
Der Import von russischem Rohöl hat sich seit Februar nach Schätzung von Analysten vervierfacht. Eine Einkaufspolitik, die die indischen Gewinne steigen lässt. Denn Russland verkauft sein Rohöl bis zu zehn Prozent unter dem Weltmarktpreis.
Der indische Ökonom und Regierungsberater Narendra Taneja sieht in der Kauflust seines Landes nichts Verwerfliches: „Öl hat für uns nichts mit Politik zu tun. Es ist eine Handelsware. Wir sehen uns auf dem Weltmarkt um und schauen natürlich auf den Preis.“ Man kaufe Öl nun mal in dem Land, dass den attraktivsten Preis biete: „Nicht aus Liebe zu Russland, sondern aus wirtschaftlichen Gründen“ kaufe man das darum das russische Öl.
Kritik aus den USA oder anderen westlichen Ländern lässt er nicht gelten. Indien verbinde eine lange freundschaftliche Beziehung mit Russland. Außerdem argumentiert er: „Viele im Westen importieren selbst russisches Öl und Gas. Das machen sie bereits seit Jahrzehnten“, kritisiert Taneja die Doppelmoral westlicher Länder: „Sie importieren selbst und glauben, sie hätten das moralische Recht andere Länder schulmeistern? Wir dürfen importieren, aber ihr nicht. Was soll das?“
Die indische Zentralbank hat ihren Leitzins den dritten Monat in Folge angehoben. Der indische Notenbankchef Shaktikanta Das sagte, der Zinssatz werde von 4,90 auf 5,40 Prozent heraufgesetzt. Denn eine anhaltend hohe Inflation könne die Preiserwartungen destabilisieren und das Wachstum mittelfristig beeinträchtigen.
Die Preise im Einzelhandel waren im Juni um sieben Prozent gestiegen. Damit dürfte die Inflation auch den Rest des Jahres über dem von der Notenbank angepeilten Ziel zwei bis sechs Prozent. Ökonomen rechnen auch in den kommenden Monaten mit weiteren Zinserhöhungen.
Produkte werden weltweit exportiert
Indiens Güterzüge haben nicht nur mehr russisches Öl im Land zu verteilen – auch Kohle und Düngemittel-Importe aus Russland haben sich vervielfacht. Dass Indien sich aber nun gänzlich Russland zu- und vom Westen abwendet, hält Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING, für unwahrscheinlich: „Für Länder wie Indien -Schwellenländer, die Wachstum brauchen – reicht es nicht, nur billige Energie zu bekommen. Sondern auch viel Kapital.“ Und dieses Kapital für Direktinvestitionen komme dann eben doch meistens aus dem Westen, so Brzeski.
Indiens Tankstellen bleiben jedenfalls erstmal bestens versorgt. Die Ölindustrie des Landes hat eine profitable, wenn auch nicht unumstrittene Marktnische gefunden. Nicht nur für den Eigenbedarf übrigens. Denn die Produkte, die hier aus russischem Rohöl entstehen, unterliegen keinerlei Handelssanktionen und können in alle Welt exportiert werden.