Fischsterben in der Oder: Schadstoffe könnten MV heute erreichen

Fischsterben in der Oder: Schadstoffe könnten MV heute erreichen

13. August 2022 Aus Von mvp-web
Stand: 13.08.2022 11:21 Uhr

Ein Fischsterben im Grenzfluss Oder sorgt nicht nur in Brandenburg und Polen für Besorgnis. Landesumweltminister Backhaus geht auch von Auswirkungen für MV aus. Es wird davon ausgegangen, dass die Schadstoffe den polnischen Bereich des Stettiner Haffs bereits erreicht haben.

Seit einigen Tagen treiben unzählige tote Fische in der Oder, die derzeit nur wenig Wasser führt. Wie viele es sind, darüber gibt es keine Angaben. Die ersten toten Fische wurden Ende Juli flussaufwärts in Polen entdeckt. Nach Angaben der polnischen Wasserbehörde sind insgesamt zehn Tonnen verendeter Fisch geborgen worden. Mittlerweile wurden auch tote Fische auf Höhe Frankfurt/Oder und Schwedt entdeckt. Knapp 100 Kilometer nördlich mündet die Oder ins Stettiner Haff, das mit Usedom und der Ostsee verbunden ist.

Backhaus: Auswirkungen auf MV am Sonnabend denkbar

Mecklenburg-Vorpommerns Umweltministerium geht davon aus, dass die Welle beziehungsweise Front der Belastungen in der Oder die Odermündung in das Oderhaff bei Szczecin noch am Freitagabend erreicht hat. Abhängig von Wind- und Strömungsverhältnissen könnten Auswirkungen der Belastungen den mecklenburg-vorpommerschen Teil des Oderhaffs im Laufe des Sonnabends erreichen. Die zuständigen Behörden seien in Alarmbereitschaft versetzt worden.

Umweltministerium MV rät zur Vorsicht

Aus diesem Grund wird vorsorglich empfohlen, auf das Angeln und Fischen im Kleinen Haff zu verzichten sowie auf die Nutzung von Wasser aus dem Kleinen Haff (zum Beispiel für Bewässerung, Viehtränke, Kontakt durch Nutz- und Haustiere). Das weitere Geschehen werde nun genau verfolgt. Zunächst müsse aber die Ursache für das Fischsterben zweifelsfrei geklärt werden, so Umweltminister Till Backhaus (SPD). Erst dann könnten geeignete Maßnahmen eingeleitet werden.

Fischsterben: Erhöhte „Salzfrachten“ nachgewiesen

Noch immer ist nicht geklärt, warum so viele Fische in der Oder gestorben sind. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) teilte am Freitagabend mit, dass die Oder „sehr stark erhöhte Salzfrachten“ aufweist. Das sei „absolut atypisch“ und könnte im Zusammenhang mit dem Fischsterben stehen. Bei Salzfrachten handelt es sich um im Wasser gelöste Salze.

Dem Ministerium zufolge sei dies aber nicht die einzige Ursache. Die Ergebnisse seien „noch nicht voll aussagefähig und nicht abschließend“, hieß es von Vogel weiter. Die Proben aus dem Fluss müssten weiter analysiert, möglicherweise erhöhte Quecksilberwerte weiter untersucht werden. Zuvor waren diese bei einer ersten Untersuchung in den Wasserproben nachgewiesen worden. Dabei könne es sich laut Vogel aber um lokale Erscheinungen handeln.

Laut Bundesumweltamt ist Quecksilber für Menschen und Tiere giftig. Der Stoff kann vom Organismus nicht ausgeschieden werden und reichert sich im Körper an.

Kombination aus mehreren Faktoren?

Vogel zufolge ist eine Kombination von mehreren Faktoren wie etwa Hitze, geringe Wasserführung und Giftstoffen wahrscheinlich: „Es kann durchaus sein, dass es sich hierbei um Stoffe handelt, die lange schon in die Oder eingebracht wurden, aber normalerweise bei Mittelwasser überhaupt kein Problem darstellen.“ Aktuell gebe es aber historische Niedrigwasserstände an der Oder. Solche geringen Wassermengen würden dazu führen, dass jeder Stoff im Wasser in einer höheren Konzentration vorliegt, so der Umweltminister.

Trockenheit sorgt für Niedrigwasser in vielen Flüssen

In weiten Teilen Norddeutschlands hat es in diesem Sommer kaum geregnet. Die Flusspegel sind vielerorts extrem niedrig.

Uckermark: Drohnen fliegen die Oder ab

Die Landrätin des Landkreises Uckermark der im Norden Brandenburgs an MV angrenzt, Karina Dörk, sagte, das Gebiet entlang der Oder werde mit Drohnen überflogen, um zu sehen, wie sich das Fischsterben weiter entwickle. Für diesen Sonnabend sei ein Einsatz zum Einsammeln der toten Fische geplant. Die Vergiftungswelle sei komplett durch die Oder gegangen, sagte der stellvertretende Leiter des Nationalparks Unteres Odertal, Michael Tautenhahn. Über die gesamte Strombreite habe man tote Fische treiben sehen. Betroffen seien etwa Zander, Welse, Gründlinge und Steinbeißer. Seeadler und andere Vögel könnten Gift durch die toten Fische aufnehmen.

Greenpeace-Experte warnt vor dramatischen Folgen

Manfred Santen, Chemie-Experte bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace, sagte bei NDR MV Live, dass Quecksilber hochgiftig sei und zu Nervenschädigungen bei Mensch und Tier führen könne. Santen schloss dramatische Folgen durch die Giftstoffe im Fluss nicht aus. Zunächst gelte es aber, dass kein weiteres Quecksilber in den Fluss eingeleitet wird.

Tote Fische in der Oder: Ist das Stettiner Haff bedroht?

Wahrscheinliche Ursache für das plötzliche Fischsterben in der Oder bei Frankfurt ist Quecksilber. Die Untersuchungen laufen.

Ein Problem sei, dass sich das Quecksilber durch die Nahrungskette von Tier zu Mensch verbreiten könne. „Man muss den Verzehr von Fisch unverzüglich unterbinden“, so Santen. Inwieweit das toxische Oder-Wasser auch eine Bedrohung für das Stettiner Haff sei, könne er nicht sagen. Dazu fehlten ihm die Daten. Wichtig sei es nun, Messungen durchzuführen. Denn das kontaminierte Wasser werde das Stettiner Haff bald erreichen.

Dort, in Altwarp, gab sich Fischer Reinhard Frenz noch gelassen. „Im Moment machen wir uns keine Sorgen“, sagte Frenz bei NDR MV Live. Bislang seien noch keine Auswirkungen der Vergiftung erkennbar. Sollte allerdings ein Fischfangverbot erteilt werden, wie dies in Brandenburg geplant ist, sehe er für die wenigen verbliebenen Fischer am Stettiner Haff schwarz.

Unfall in Toilettenpapierfabrik bei Breslau als Auslöser?

Nach Aussagen von Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki ist das Fischsterben durch die Einleitung von Chemie-Abfällen ausgelöst worden. „Es ist wahrscheinlich, dass eine riesige Menge an chemischen Abfällen in den Fluss gekippt wurde, und das in voller Kenntnis der Risiken und Folgen“, sagte Morawiecki in einer am Freitag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft.

Bei einem Unfall Ende Juli in einer Toilettenpapierfabrik südlich von Breslau könnten die Giftstoffe in den Fluss geflossen sein. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Morawiecki nannte die Verschmutzung einen „Skandal“. Politiker aus Brandenburg kritisierten, dass sie von ihren polnischen Kollegen nicht über die Kontaminierung des Flusses informiert worden seien. Sie warnen die Bevölkerung dringend vor Kontakt mit dem Wasser. Kadaver sollen eingesammelt und verbrannt werden. Umweltschützer wiesen darauf hin, dass auch Flusskrebse und Insektenlarven vergiftet worden seien. Auch Vögel, die die toten Tiere fressen, dürften betroffen sein.