Kommentar Bürgergeld – Streiten ist erwünscht
15. November 2022Wenn Bundesrat und Bundestag sich nicht einigen können, wird der Vermittlungsausschuss angerufen – wie jetzt beim Bürgergeld. Das ist gelebte Demokratie. Allein um Parteitaktik sollte es dabei aber nicht gehen.
Es kam wie es kommen musste: Im Streit ums Bürgergeld wird der Vermittlungsausschuss angerufen. Na und? Kein Grund zur Sorge. Wenn zwei sich streiten, schlichtet der Dritte. Streiten ist erlaubt. Mehr noch: Streit ist sogar erwünscht. Das nennt man Demokratie. Viele haben das nur vergessen nach all den Jahren mit der GroKo.
Die Große Koalition hat viele Menschen eingelullt – öffentliches Ringen, ja streiten, um den besten Weg, die beste Lösung – wie ging das noch? Union und SPD haben das in ihren Regierungsjahren untereinander ausgemacht, auch gedealt, nach dem Motto: Stimmst du hier zu, stimme ich da zu. Gemeckert haben nur die Kleinen, kaum wahrgenommen. Der Bundesrat spielte keine große Rolle. Vermittlung überflüssig. Diese Zeiten sind vorbei. Es lebe die Streitkultur. Die großen Parteien, die politischen Lager sind wieder unterscheidbar. Was für ein Gewinn!
Verbales Abrüsten angebracht
Zugegeben: Der Streit um das Bürgergeld ist heftig und dient nicht immer der Sache. Die Union legt sich die Berechnungen zum Bürgergeld so zurecht, dass es ihrer Argumentation hilft und nimmt es mit der Vollständigkeit dabei nicht so genau. Ihr Argument „Arbeit muss sich lohnen“ wirft die Frage auf, warum sie dann beim höheren Mindestlohn nicht mitgemacht hat, aber die Regelsätze für Hartz IV erhöhen will. Wer soll da noch mitkommen?
Und dann die große Unions-Keule: „Das Bürgergeld schwächt den sozialen Frieden.“ Geht es auch eine Nummer kleiner? Allerdings macht es die SPD nicht besser: Lars Klingbeil wirft Friedrich Merz und Markus Söder vor zu lügen, Fake News zu verbreiten – so wie Donald Trump. Meine Güte. Hier wäre verbales Abrüsten angebracht.
Sie sollten sich beeilen
Streit muss konstruktiv sein und immer das Ziel erkennbar verfolgen – nämlich eine gute Lösung herbeizuführen. Parteitaktische Spielchen fördern Verdruss und Ablehnung. Dass die Opposition einem Gesetz im Bundesrat nicht zustimmt, ist absolut legitim.
Jetzt aber gilt es, zur Sache zu kommen. Vertreter aus Bundestag und Bundesrat werden im Vermittlungsausschuss verhandeln. Wenn sie den Menschen mit wenig Geld, die in Hartz IV leben, wirklich helfen wollen, sollten sie sich beeilen und möglichst schnell einen Kompromiss vorschlagen.
Der Bundeskanzler bleibt entspannt
Die Union muss jetzt beweisen, dass sie tatsächlich dafür steht, was sie immer behauptet: konstruktive Oppositionsarbeit zu machen. Merz weiß, dass die Ampel ihr Bürgergeld nicht gänzlich aufgibt, um seinen Vorschlag zu übernehmen. Er pokert nur.
Im Bundesrat hieß es aus seinen eigenen Reihen: Wir wollen nicht verhindern, sondern verbessern. Auch deshalb zeigt sich einer wohl so ganz entspannt: der Bundeskanzler. Ein Streit wie dieser kann ihn nicht erschüttern.
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