Top-Virologe Drosten macht seinem Ärger über Politiker Luft

5. Mai 2020 Aus Von mvp-web

In der Corona-Krise sind Wissenschaftler gefragte Ratgeber für die Politik. Hohen Druck auf Experten hält Virologe Christian Drosten allerdings für gefährlich – besonders im Hinblick auf Fake-News. Auch die Verwendung seines Namens durch Politiker in den Medien verärgert ihn.

Seit Wochen begleiten uns Wissenschaftler mit ihrer Expertise durch die Corona-Krise. Auch die Bundesregierung vertraut auf den Rat von Experten bei der Bekämpfung des Virus. Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité zählt zu den bekanntesten – auch über Landesgrenzen hinweg.

Allerdings hält Drosten einen hohen politischen Druck auf ihn und seine Kollegen für eine Gefahr, durch den schnell Fehlinformationen zum Virus-Geschehen in Umlauf geraten können. Auch die Art und Weise, wie Politiker in Deutschland seinen Namen erwähnen, missfällt ihm. Im NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“ lässt Drosten seinen Ärger raus.

Australien-Studie als Auslöser für den Ärger

Auslöser dafür ist eine Studie aus Australien mit 15 Schulen. Als Ergebnis herausgekommen sei laut Drosten, dass sich dort lediglich neun Schüler und neun Lehrer angesteckt hätten.

Das Problem der Studie: Es handelt sich lediglich um eine Vorauswertung. Die Auswertung ist noch gar nicht beendet, noch nicht einmal die Hälfte der Tests sind durchgearbeitet. Trotzdem erschien ein Bericht zur Vorauswertung in der „New York Times“, auch die kanadische Regierung habe sie in ihre Pläne zur Schulöffnung aufgenommen, sagt Drosten.

Für ihn hat besonders die Politik Schuld daran: „Das ist ein Beispiel dafür, wie die Wissenschaft im Moment politisch unter Druck steht“, sagt der Virologe.

Veröffentlichungen auf politischen Druck „gefährlich“

Zwar könne er die Notwendigkeit der Politik, weitere Entscheidungen zu treffen, nachvollziehen, allerdings nicht um jeden Preis.

„Viele Politiker können da auch mal ganz schön Druck ausüben und sagen, ich will diese Verantwortung nicht auf meinen Schultern haben, ich möchte die Verantwortung lieber in einem wissenschaftlichen Manuskript sehen, da eine Zahl raus nehmen können und sagen: ‚Das steht doch schwarz auf weiß da geschrieben'“.

Wie er diesen Druck meint, veranschaulicht Drosten in einem Beispiel: „Dann kommen wir in diesen, wie ich finde, etwas gefährlichen Bereich rein, dass dann – sagen wir mal – einem Institutsdirektor gesagt wird: ‚Du bist doch der Chef vom Ganzen. Wir brauchen jetzt Zahlen von deinen Mitarbeitern.'“Drosten: „Und dann geht der Direktor zu seinen Mitarbeitern und sagt: ‚Unsere Tabellen sind zwar erst halbvoll, aber der Minister will, dass wir was veröffentlichen. Jetzt nehmen wir die halben Tabellen und schreiben die schon mal zusammen'“.

„Und schon ist eine Fehlinformation in der Welt“

Erhöht wird das Risiko zusätzlich dadurch, dass laut Drosten manchmal auch nicht die Wissenschaftler selbst, sondern Mitarbeiter aus Pressestellen die Erkenntnisse in einer eher „plastischen, für die Öffentlichkeit gedachten“ Erzählweise ausformulieren. „Und schon ist eine Fehlinformation in der Welt.“

Derartiges sei laut Drosten bei der Australien-Studie vermutlich passiert. Auch in anderen Ländern soll es bereits ähnliche Fälle gegeben haben.

Dennoch sieht Drosten Wissenschaftler weiterhin in einer Unterstützerrolle für Politiker in deren Entscheidungsfindung. Daher ist er mit der Darstellung seiner Kollegen durch Politiker in den Medien zum Teil auch nicht einverstanden. „Es geht im Moment in die falsche Richtung“, findet er.

„Vollkommene Irreführung der Öffentlichkeit“

Auch die mediale Verwendung seines Namens macht ihm zu schaffen: „Die Wissenschaft wird in den Medien zu sehr polarisiert. Nicht nur ich als Person. Inzwischen nennen Politiker meinen Namen in Talkshows, was ich eine Unverschämtheit finde und eine vollkommene Irreführung der Öffentlichkeit und auch der politischen Meinungsbildung“, ärgert sich Drosten.

„Hier wird vom Inhalt abgelenkt auf eine Person, der man alle möglichen Eigenschaften anhängen kann, nur nicht den Inhalt der Diskussion. Das ist wirklich so langsam gefährlich“, sagt der Virologe und gibt vor, aus welchem Blickwinkel Politiker die Rolle der Wissenschaftler eigentlich betrachten sollten: „Wir müssen stattdessen einfach immer wieder fragen: Wie kann uns in der jetzigen Phase die Wissenschaft wieder helfen?“

Focus Online: Dienstag, 05.05.2020, 18:31