LNG: Fakten zu Flüssigerdgas und Projekten in Norddeutschland
20. März 2023 Aus Von mvp-webVor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise soll mit Flüssigerdgas (LNG) ein Gasmangel in Deutschland verhindert werden. Im Norden entstehen dafür die ersten LNG-Terminals Deutschlands. Den Anfang machte das LNG-Terminal in Wilhelmshaven, das Mitte Dezember 2022 eröffnet wurde. Einen Monat später folgte ein Terminal in Lubmin, gefolgt von einem Terminal in Brunsbüttel, das aber erst im Probebetrieb ist. Wo sind weitere Anlagen geplant, wann gehen sie in Betrieb und wie funktioniert LNG überhaupt? NDR.de bietet hier Antworten auf die wichtigsten Fragen und erklärt die Vor- und Nachteile von Flüssigerdgas.
Was bedeutet eigentlich LNG?
LNG bedeutet Liquefied Natural Gas – also verflüssigtes Erdgas – und besteht zu rund 98 Prozent aus Methan. Es ist farblos und ungiftig. Produziert wird es, indem Erdgas auf minus 161 bis 164 Grad Celsius gekühlt wird. Das Volumen wird so um das 600-fache verringert. Hier liegt der große Vorteil von LNG: Es braucht wesentlich weniger Platz als Erdgas und kann somit leicht ohne Pipelines in weit entfernte Länder geliefert werden. Flüssigerdgas wird vor allem von den USA, Kanada, Katar, Australien und Russland exportiert. Genutzt wird LNG für die Produktion von Strom und Wärme sowie als Kraftstoff in der Schifffahrt, außerdem in der Metallindustrie und Düngemittel-Produktion.
Welche Arten von LNG-Terminals gibt es – und was passiert dort?
An einem festen, landbasierten LNG-Terminal können mit Flüssigerdgas beladene Tankschiffe anlegen. Das LNG wird dort wieder in den gasförmigen Zustand umgewandelt – regasifiziert – und kann anschließend in das Gasnetz an Land eingespeist werden. Zudem gibt es schwimmende LNG-Terminals. Als solche fungieren spezielle Schiffe, in der Branche „Floating Storage and Regasification Unit“ (FSRU) genannt, auf denen das flüssige Erdgas umgewandelt und an Land geleitet werden kann. In Lubmin gibt es wegen der niedrigen Wasserstände eine besondere Lösung: Das Terminal wird über kleinere Shuttle-Schiffe versorgt, die das LNG von einem größeren Tanklager-Schiff auf der Ostsee holen. Dieses Spezialschiff ist die „Neptune“, die seit Mitte Dezember vor Lubmin liegt. Die „Neptune“ kann das Flüssigerdgas erwärmen und wieder gasförmig machen. Die Inbetriebnahme schwimmender Terminals ist relativ schnell umzusetzen, aber teuer. So kostet die Miete für das schwimmende Terminal in Wilhelmshaven 120.000 Euro – pro Tag.
Wie viele Terminals soll es in Norddeutschland geben?
Langfristig ist der Bau von drei festen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade geplant. Der Bau dauert allerdings einige Jahre, sodass diese Anlagen frühestens im Jahr 2025 in Betrieb gehen können. Als Übergangslösung sollen insgesamt sechs schwimmende Terminals an Deutschlands Küsten dienen – fünf staatliche und ein privates (in Lubmin).
Neben den bereits eröffneten Terminals im niedersächsischen Wilhelmshaven – ein zweites soll dort Ende 2023 hinzukommen – und in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern), in dessen Nachbarschaft vor Rügen ein weiteres geplant ist, sind Anlagen in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein und in Stade (Niedersachsen) vorgesehen. Das Terminal in Brunsbüttel ist derzeit bereits im Probebetrieb und soll demnächst ans Netz gehen. In Hamburg wurden Pläne für ein LNG-Terminal im Hafen gestoppt.
Wie sieht der weitere Zeitplan für die schwimmenden Terminals aus?
In Brunsbüttel ist der landseitige Anschluss für Flüssigerdgas im Dezember fertiggestellt. Am 20. Januar erreichte das schwimmende LNG-Terminal „Höegh Gannet“ den Hafen, Mitte Februar legte dort der erste LNG-Tanker an. Derzeit läuft der Probebetrieb des Terminals. Laut Betreiber RWE soll etwa Mitte März das erste Gas aus Brunsbüttel ins Netz eingespeichert werden.
Über das Lubminer Terminal wurde Anfang Januar erstmals Erdgas im Probebetrieb in das Netz eingeleitet. Eröffnet wurde es Mitte Januar. Ein zweites Terminal in MV, diesmal vom Bund initiiert, soll vor der Südost-Küste Rügens entstehen und Anlegeplatz für vier Regasifizierungsschiffe bieten. Über den genauen Standort und die Größe wird aber noch diskutiert.
Am Standort Wilhelmshaven traf Anfang des Jahres der erste Tanker mit einer vollständigen Ladung LNG am schwimmenden Terminal ein. Mitte Dezember war der Standort unter anderem von Bundeskanzler Scholz eröffnet worden. Einen Monat später startete der Regelbetrieb. Ende 2023 soll ein weiteres Terminal fertig sein.
In Stade hatte ein privates Konsortium bereits vor dem Ukraine-Krieg angefangen, eine Anlage in der Nähe des Chemieparks mit dem US-Konzern Dow vorzubereiten. Gebaut wird das Terminal nun von der landeseigenen Gesellschaft NPorts. Im Winter 2023/24 soll die schwimmende Plattform in Betrieb genommen werden.
Was kosten die LNG-Terminals?
Das Bundeswirtschaftsministerium beziffert die Kosten für die fünf geplanten staatlich betriebenen LNG-Terminals in Deutschland im Dezember 2022 auf bis zu 9,7 Milliarden Euro für den Zeitraum 2022 bis 2038. Durch sogenannte Regasifizierungsentgelte für die Einspeisung ins Netz will der Bund mit den LNG-Terminals aber auch Geld verdienen.
Woher kommt das Flüssigerdgas für Deutschland?
Bisher erhält Deutschland LNG vor allem aus den USA. Dieses Flüssigerdgas wird über Terminals in den Niederlanden, Belgien oder Frankreich aufgenommen und dann nach Deutschland geliefert. Zu den größten Exporteuren zählt neben den USA außerdem Katar. Mit dem Golfstaat schloss Deutschland Ende November 2022 ein Abkommen, demzufolge das Energieunternehmen Qatar Energy ab 2026 Flüssiggas nach Deutschland liefern will. Das verflüssigte Erdgas soll demnach am LNG-Terminal in Brunsbüttel ankommen. Das Abkommen sichert nach den damaligen Angaben des katarischen Energieministers eine Lieferung von 2,7 Milliarden Kubikmeter jährlich über einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren zu.
Die Energieunternehmen EnBW, Uniper und RWE hatten der Bundesregierung im August 2022 zugesichert, die neuen LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel ab dem Jahreswechsel 2022/23 mit voll ausgelasteten Schiffen zu beliefern. Die Unternehmen standen zuletzt mit mehreren Staaten wie den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Israel in Verhandlungen. Feste Verträge für kurzfristige Lieferungen gab es Ende 2022 bereits von Uniper und dem australischen Lieferanten Woodside über zwölf Schiffsladungen ab Januar 2023.
Kann LNG die russischen Gaslieferungen ersetzen?
Die Menge an Erdgas, die jedes Jahr über drei Pipelines aus Russland in Deutschland ankam, war gewaltig: 2020 waren es etwa 56 Milliarden Kubikmeter. Wenn alle LNG-Terminals in Betrieb sind, kommen sie immerhin auf etwa die Hälfte dieser Menge und könnten so knapp ein Drittel des deutschen Jahresverbrauchs von zuletzt etwa 90 Milliarden Kubikmetern abdecken. Inzwischen gehen Experten sogar davon aus, dass Deutschland mit seinen LNG-Plänen auf deutliche Überkapazitäten hinsteuert.
Ist LNG umweltfreundlich?
Bei der Antwort muss man zwei Punkte unterscheiden: die Auswirkungen auf die Gesundheit und die Auswirkungen auf das Klima. Der Einsatz von LNG etwa in der Schifffahrt ist im Gegensatz zum heute vor allem genutzten Schweröl deutlich schadstoffärmer, bestätigt unter anderem die TU Hamburg. Ob LNG aber auch klimafreundlicher ist, ist nicht klar. Das hängt davon ab, wie das Erdgas gefördert, zu LNG verarbeitet und dann eingesetzt wird. So fördern die USA Erdgas zum Beispiel vor allem mithilfe der umstrittenen Fracking-Methode. Zudem besteht LNG fast komplett aus Methan, das auf dem Produktions- und Lieferweg entweichen könnte („Methanschlupf“). Methan ist ungefähr 25 Mal so klimaschädlich wie Kohlenstoffdioxid und trägt stark zum Treibhauseffekt bei. Das „NewClimate Institute“ in Köln kritisierte, dass der Umfang der neu geplanten LNG-Infrastruktur im Widerspruch zu den Klimaschutzzielen Deutschlands stehe. „Wenn alle geplanten Terminals in Betrieb sind, könnte Deutschland über Land und See fast zwei Drittel mehr Erdgas importieren als derzeit verbraucht wird“, heißt es in einer Studie des Instituts. Der Transport von dem auf minus 162 Grad heruntergekühlten LNG mit großen Spezialtankern über den Seeweg gilt als sehr energieintensiv.
Welche Umweltschäden werden durch die LNG-Terminals befürchtet?
In Niedersachsen haben Umweltschutzorganisationen gefordert, dass der Terminal-Betreiber Uniper seine Anlagen nicht mit Chlor reinigen soll. Dass Uniper unmittelbar neben dem Nationalpark Wattenmeer und in der Nähe zu Badestränden auf die Einleitung großer Mengen von Biozid setzt, sei nicht akzeptabel, heißt es etwa von der Deutschen Umwelthilfe.
Nicht erst seit der Eröffnung des Terminals in Wilhelmshaven gab es Proteste von Umweltschützern. Ende Februar wurde zudem der Vorwurf erhoben, dass die Genehmigung des Umweltministeriums offenbar hauptsächlich auf einem von Uniper bezahlten Gutachten beruhe.
In Brunsbüttel hingegen soll die „Höegh Gannet“ bei Reinigungsprozessen kein Chlor in die Elbe einleiten. „Sollte eine Reinigung der Wärmetauscher erforderlich sein, erfolgt diese durch ein einfaches Rückspülverfahren mit Elbewasser“, teilte Betreiber RWE mit. Abwasser werde fachgerecht entsorgt und gelange keinesfalls in die Elbe. In Lubmin mehren sich die Stimmen von Einwohnern, die über Geräuschbelästigung durch das LNG-Terminal klagen. Ein Ingenieurbüro wurde beauftragt, dass die Geräuschemissionen unter die Lupe nehmen soll. Auch in Brunsbüttel klagen Anwohner über Lärm und über störende Beleuchtung.
Wie sieht die Zukunftsperspektive von LNG aus?
Umweltschützer und Experten befürchten, der Ausbau der LNG-Technologie könnte dazu führen, diese nicht nur für den Übergang auf erneuerbare Energien zu nutzen, sondern dabei zu bleiben. Der NABU plädiert daher dafür, Gas aus erneuerbaren Energien zu gewinnen und eine Zertifizierung für umweltfreundliches Gas einzuführen. Die Organisation „Fridays for Future“ sieht in Erdgas einen „Brandbeschleuniger der globalen Klimakrise“. Deutschland brauche daher keine neue Erdgas-Infrastruktur, „um die Abhängigkeit von autokratischen Regimen wie Russland zu beenden, sondern den konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien“.
Die fest installierten, späteren LNG-Terminals sollen sich auch für grünen Wasserstoff nutzen lassen, so die Pläne der Bundesregierung. Laut einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung wären dazu aber teils erhebliche technische Anpassungen erforderlich, die bestenfalls bereits beim Bau berücksichtigt werden sollten.
Wo in Europa gibt es schon länger LNG-Terminals?
Insgesamt gibt es in Europa rund 30 LNG-Terminals – unter anderem im niederländischen Rotterdam und im belgischen Zeebrugge, in Dünkirchen (Frankreich), Barcelona und Cartagena (Spanien) sowie im polnischen Swinemünde. Außerdem gibt es solche Anlagen in Großbritannien, Griechenland, Portugal, Italien und Litauen.