faq – Abstimmung im kleinsten Bundesland Was zur Bremen-Wahl wichtig ist

faq – Abstimmung im kleinsten Bundesland Was zur Bremen-Wahl wichtig ist

14. Mai 2023 Aus Von mvp-web

Stand: 14.05.2023 04:53 Uhr

Bremen ist länger rot als Bayern schwarz ist. Seit 77 Jahren regiert hier die SPD – zuletzt mit Grünen und Linkspartei. Und auch wenn die Bremen-Wahl vermutlich keine politischen Trends setzen wird, lohnt sich ein Blick an die Weser.

Die Ausgangslage

Die Abstimmung im Zwei-Städte-Staat Bremen und Bremerhaven ist die erste reguläre Landtagswahl im Jahr 2023. Berlin rutschte ja ungeplant in den Wahlkalender. Auch wenn das Votum im bevölkerungsmäßig kleinsten Bundesland vermutlich keine politischen Beben bis nach Berlin aussenden wird, ist dem Ausgang Aufmerksamkeit gewiss.

In keinem anderen Bundesland regiert die SPD so lange ununterbrochen wie in der Hansestadt. 2019 wäre die Macht fast verloren gegangen, erstmals wurde die CDU stärkste Kraft. Aber es gelang den Christdemokraten nicht, eine Regierung zu bilden und so blieb das Rathaus in der Hand der Sozialdemokraten. Allerdings eines Neuen: Wahlverlierer Carsten Sieling verzichtete auf eine zweite Amtszeit, Andreas Bovenschulte übernahm seinen Platz und ging ein Bündnis mit Grünen und Linkspartei ein – als erster Landeschef in einem westdeutschen Bundesland. Die inzwischen beendete rot-grün-rote Koalition in Berlin kam erst später.

Bremen in Zahlen

Die „Freie und Hansestadt Bremen“ ist die offizielle Bezeichnung des Landes Bremen, das aus den beiden Städten Bremen und Bremerhaven besteht. Rund 676.000 Menschen leben hier. Zum Vergleich: Das (ebenfalls kleine) Saarland kommt auf gut 992.000 Menschen, das (sehr große) Nordrhein-Westfalen zählt knapp 18 Millionen.

Bis vor einigen Jahren stand das weltweit größte Werk von Mercedes-Benz in Bremen, inzwischen wurde der Standort von Peking auf Platz zwei verdrängt. Die Daimler AG bleibt aber mit mehr als 12.500 Beschäftigten größter privater Arbeitgeber in der Hansestadt. Insgesamt gibt es acht Häfen in Bremen und Bremerhaven, 40.000 Menschen verdienen im weiteren Sinne hier ihr Geld.

Bremen erreicht bundesweite Spitzenwerte bei der Wirtschaftsleistung, zugleich liegt die Arbeitslosenquote mit 10,7 Prozent fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, viele Menschen sind auf Sozialhilfe angewiesen. Auch der Schuldenberg ist gigantisch: 22 Milliarden Euro, das ist das Dreifache des Jahres-Etats. Der durchschnittliche Schuldenstand pro Kopf lag Ende 2021 im Stadtstaat bei knapp 54.000 Euro. Das Bremer Schulsystem belegt in Studien regelmäßig hintere Plätze.

Seit 77 Jahren regiert die SPD in Bremen – und damit länger als die CSU in Bayern. Wahlberechtigt sind gut 460.000 Menschen. Insgesamt stehen 16 Parteien und Wählergruppen auf den Wahlzetteln. Jeder Wahlberechtigte kann fünf Stimmen vergeben. Der Stimmzettel hat 24 Seiten.

Bremer Besonderheiten

Ganz wichtig: Es heißt Bremische Bürgerschaft, aber Bremer Weserstadion und Bremer Stadtmusikanten. Das hat sprachhistorische Gründe, die hier aber nicht weiter vertieft werden sollen.

Auch das Wahlrecht weist Besonderheiten auf. Das 1947 gegründete Bundesland besteht aus den beiden räumlich getrennten Städten Bremen und Bremerhaven. Beide Städte gelten bis heute bei Bürgerschaftswahlen als zwei selbstständige Wahlbereiche.

Die Fünfprozenthürde wird in beiden Städten separat angewandt. Deshalb kann eine Partei, die im Bundesland Bremen insgesamt an dieser Hürde scheitern würde, trotzdem in die Bürgerschaft – das Landesparlament – einziehen. Davon profitierte in den vergangenen Jahren die rechtspopulistische Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW), die nur im deutlich kleineren Bremerhaven mehr als fünf Prozent erreichte.

Die separate Sperrklausel kann wiederum auch Einfluss auf die Mehrheitsverhältnisse haben und die Ergebnisermittlung verkomplizieren. Diese dauert in Bremen ohnehin relativ lange, weil eine Wählerin oder ein Wähler insgesamt fünf Stimmen hat, die beliebig auf Kandidatinnen und Kandidaten sowie Parteien verteilt werden können. Bis das Endergebnis der Abstimmung feststeht, vergehen mehrere Tage. Am Wahlabend selbst gibt es nur eine amtliche Hochrechnung auf Grundlage der Auszählung einer Stichprobe von 67 Urnen- und 28 Briefwahlbezirken.

Ab der neuen Legislaturperiode sollen 87 Abgeordnete in der Bürgerschaft sitzen – davon 72 aus Bremen und 15 aus Bremerhaven. Bislang waren es insgesamt 84 Parlamentarier. Bei der Bürgerschaftswahl sind Deutsche ab 16 Jahren wahlberechtigt, die im Land Bremen seit drei Monaten ihren Hauptwohnsitz haben. Bremen ist übrigens das letzte Bundesland, dessen Landesparlament noch auf vier Jahre gewählt wird.

Im Wahlbereich Bremen ist die Bürgerschaftswahl außerdem fest mit der Kommunalwahl verknüpft. In Bremerhaven nicht.

Weitere Besonderheit dieser Wahl: Die AfD ist nicht dabei. Sie hatte sich nach internen Streitigkeiten die Teilnahme verbaut. 2019 war sie noch mit 6,1 Prozent ins Parlament eingezogen. Vom AfD-Ausschluss profitieren könnte nun die Wählervereinigung Bürger in Wut (BIW).

Das Spitzenpersonal

Die SPD setzt auf ihren „Bovi“ und dessen hohe Zustimungswerte im Land. Der 57-jährige Andreas Bovenschulte führt den Bremer Senat seit 2019 mit einer Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei. Es ist sein erster Wahlkampf ums Bürgermeisteramt – vor vier Jahren beerbte er den damaligen Regierungschef Sieling, der nach dem schlechten SPD-Ergebnis auf eine zweite Amtszeit verzichtete. Programmatisch gehört Bovenschulte zum linken Flügel der SPD. Bundesweit machte er sich zuletzt für die Kindergrundsicherung stark und forderte vom Bund mehr Geld für die Flüchtlingsunterbringung. Im Wahlkampf warb Bovenschulte für „eine starke Wirtschaft mit guten Arbeitsplätzen und fairen Löhnen“. Bovenschulte ist gelernter Jurist und Hobbygitarrist.

Frank Imhoff heißt der Spitzenkandidat der CDU. Der 54-Jährige ist ein Politik-Routinier: Seit 40 Jahren ist er CDU-Mitglied, seit 1999 gehört er der Bremischen Bürgerschaft an. Er war dort Vizepräsident und übernahm 2019 als erster Vertreter der CDU das Amt des Präsidenten. Imhoff ist gelernter Landwirt und betreibt mit seiner Familie in fünfter Generation einen Bauernhof im Bremer Umland. Im Wahlkampf trat er für eine CDU als moderne Großstadtpartei ein, die sich um Bildung, Integration und Klimaschutz kümmert. Mit der 27-jährigen Wiebke Winter, die Mitglied im CDU-Bundesvorstand und Landesvorsitzende der Jungen Union ist, stellte die Bremer CDU Imhoff eine junge Tandemspitzenkandidatin zur Seite.

Die Grünen-Spitzenkandidatin Maike Schaefer war zuletzt Vize-Bürgermeisterin und führte das Großressort für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität, Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Vor allem die Verkehrspolitik der 51-jährigen gelernten Biologin sorgt für Unmut. Ähnlich wie in Berlin gilt die grüne Verkehrspolitik mit dem Ziel einer autofreien Innenstadt als umstritten. Die SPD propagiert wegen der Proteste lieber eine autoarme Innenstadt. Für Verdruss sorgte auch Schaefers Entscheidung, die „Brötchentaste“ abzuschaffen, also das kostenlose Kurzzeitparken. Auch aufgrund der geringen Beliebtheitswerte ihrer Spitzenkandidatin schwächeln die Bremer Grünen ganz erheblich.

Die Linkspartei setzt erneut auf Kristina Vogt. Die 57-Jährige ist zum vierten Mal Spitzenkandidatin ihrer Partei. Sie war zunächst Fraktionschefin in der Bürgerschaft, seit 2019 gehört sie der Regierung, also dem Senat, an. Als Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa überraschte Vogt alle, die einen wirtschaftsskeptischen Kurs erwarteten. Sie kam mit Unternehmen und Handelskammer zurecht, setzte sich für die Bremer Luft- und Raumfahrt genauso wie für die Lebensmittelbranche ein. Weniger sympathisch war der Wirtschaft die Ausbildungsabgabe von Rot-Grün-Rot. Vogt hat in der Vergangenheit auch schon mal eine Kneipe namens „Horizont“ geführt, in der Linkspartei ist sie seit 2008.

„Who the heck is Thore Schäck?“, plakatierte die FDP im Wahlkampf. Gute Frage, denn viele Menschen in Bremen und Bremerhaven dürften den FDP-Spitzenkandidaten Thore Schäck bislang nicht gekannt haben. Der 38-Jährige führt die Liberalen erstmals in einem Wahlkampf an. Zu Beginn seiner politischen Laufbahn war er kurz SPD-Mitglied, dann wechselte er zur FDP und machte dort rasch Karriere. 2019 zog er als Vorsitzender der Jungen Liberalen Bremen in die Bürgerschaft ein. 2020 übernahm er das Amt des Landeschefs. Er ist Start-up-Unternehmer, Werderfan und Vegetarier.

Die FDP Bremen präsentiert ihre Wahlkampf-Kampagne für die Bürgerschaftswahl 2023. Auf dem Wahlplakat ist die Aufschrift "Who the heck is Thore Schäck" zu lesen.

Gute Frage: Wer ist Thore Schäck dürften sich auch viele Menschen in Bremen gefragt haben. Der FDP-Spitzenkandidat musste sich im Land erst einen Namen machen.

Die Liste der rechtspopulistischen Wählergruppierung Bürger in Wut (BIW) für die Stadt Bremen wird von Piet Leidreiter angeführt, für Bremerhaven ist es deren Gründer Jan Timke. Leidreiter sieht sich als Wertkonservativer, dem die CDU zu weit nach links gerückt ist. Zunächst war er in der AfD und dort Schatzmeister der Bundespartei, zählte zum eurokritischen Flügel. 2015 trat er bei der AfD aus, seit 2017 ist der gebürtige Bremer Mitglied der BIW. Von 2015 bis 2019 gehörte er der Bürgerschaft an. Leidreiter führt die Steuerberatungskanzlei seiner Familie in Bremen.

Der Wahlkampf

Bremen hat sich im Wahlkampf ganz auf sich konzentriert. Es ging fast ausschließlich um landespolitische Themen, vor allem um Schul- und Bildungspolitik. Obwohl die SPD seit Gründung der Bundesrepublik durchgehend den Senator oder die Senatorin für Bildung stellt und die CDU Bildung zu einem Schwerpunktthema machte, konnten die Christdemokraten hier kaum punkten. Weitere Themen: Sicherheit und Kriminalität, vor allem der Bremer Hauptbahnhof gilt als „Problemzone“. CDU und FDP warfen dem rot-grün-roten Senat vor, bei der Polizei gespart zu haben.

Große Differenzen gibt es auch in der Verkehrspolitik, und dabei ging es nicht nur um das Aufregerthema „Brötchentaste“, also das kostenlose Kurzzeitparken in der Innenstadt. Die grüne Verkehrssenatorin hatte sie im April kurzerhand abgeschafft – und sich damit viel Ärger eingehandelt, auch vom Koalitionspartner SPD. Und auch, wenn sich alle Parteien einig sind, dass die CO2-Emissionen in der Stadt gesenkt werden müssen, streiten sie doch darüber, wie das erreicht werden kann.

Bremen und die Bundespolitik

Nach dem schlechten Abschneiden bei der Wiederholungswahl in Berlin und dem Verlust der Regierungsverantwortung könnte die SPD einen glanzvollen Wahlsieg in Bremen gut gebrauchen. Wohlwissend, dass das bevölkerungsmäßig kleinste Bundesland Deutschlands kaum als politischer Trendsetter herhalten kann. Es wäre aber ein Schub Richtung Wahl-Herbst für die umfragenschwache Kanzlerpartei. Eine Niederlage im „roten“ Bremen hingegen wäre eine Blamage. Aktuell stellen die Sozialdemokraten noch sieben der 16 Ministerpräsidenten.

Auch die FDP um Parteichef Christian Lindner macht sich Hoffnungen auf gute Nachrichten von der Weser, konkret: den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Das würde wohl auch zur allgemeinen Beruhigung in der Ampel-Koalition beitragen. Hier war die FDP zuletzt hör- und sichtbar um Profil und Abgrenzung vor allem zu den Grünen bemüht.

Die Spitze der Linkspartei würde sich ebenfalls freuen, wenn sie statt der Querelen um Sahra Wagenknecht mal wieder ein zweistelliges Wahlergebnis auf Landesebene kommentieren könnte – ebenfalls wohlwissend, dass die Lage in Bremen ein Sonderfall ist.

Die Grünen könnten der große Verlierer der Bremen-Wahl werden. Für die Partei läuft es auch im Bund seit Wochen schon nicht gut, in der Ampel verkämpft man sich zunehmend mit SPD und FDP, die Kritik an Habecks Heizungsplänen reißt nicht ab und in der „Trauzeugen-Affäre“ sehen sich die Grünen dem Vorwurf der Vetternwirtschaft ausgesetzt. Und auch in Bremen droht ihnen der Absturz auf das schlechteste Ergebnis seit mindestens 20 Jahren – wenn es gut ausgeht, bleiben sie aber zweistellig und vor der Linkspartei.

Die CDU kann sich in Bremen traditionsgemäß wenig Hoffnung machen – in der Berliner Parteizentrale scheint man die Wahl daher schon abgeschrieben zu haben. Für Parteichef Friedrich Merz, so heißt es intern, sei der Ausgang der Wahl in der Türkei an diesem Sonntag wichtiger – auch weil sich die Migrationspolitik des Landes deutlich verändern könnte.

Und nun nach Hessen und Bayern

Aus bundespolitischer Sicht ist die Bremen-Wahl allenfalls ein punktueller Stimmungstest mit überregional überschaubarer Bedeutung. Nach dem Wahlsonntag dürften sich die Blicke daher schnell gen Süden richten – zum politischen Doppel-Höhepunkt des Jahres: die Wahlen in Hessen und Bayern am 8. Oktober. Hier geht es für die Parteien um viel – auch um eine Zwischenbilanz nach zwei Jahren Ampel.

In Bremen hingegen wird man zunächst mehrere Tage auf das Endergebnis warten und dann in Verhandlungen über eine neue Regierung einsteigen. Gut möglich, dass die bisherigen Partner einfach weitermachen.