In Bayern wurden hunderte Impfstoffdosen falsch gekühlt und waren somit unbrauchbar. Jetzt stellt sich heraus, dass das bayerische Gesundheitsministerium simple Camping-Kühlboxen für den Impfstoff-Transport einsetzt. Experten sind über das bayerische Logistik-Konzept mehr als entsetzt.
In Kulmbach und einigen anderen bayerischen Landkreisen zeigten die Messgeräte letzte Woche nach dem Transport der Biontech-Impfstoffe an, dass der erlaubte Temperatur-Bereich von zwei bis acht Grad über- oder unterschritten wurde. Unterbrochene Kühlketten waren zu befürchten und Schäden an der wertvollen Ware. Hunderte Dosen des raren Corona-Impfstoffs mussten vernichtet werden, berichtet die „Frankenpost“. „Die Ursache liegt wahrscheinlich in individuellen Umständen des Transports“, so die örtlichen Behörden.
Nach Recherchen des „Spiegel“ waren es jedoch weniger „individuelle Umstände“ als vielmehr ein ungeeignetes Transportbehältnis, das das bayerische Gesundheitsministerium ins Impfstoff-Rennen schickte, nämlich eine Camping-Kühlbox mit der Handelsbezeichnung „Dometic Coolfreeze CF 11“.
Ein Sprecher des bayerischen Gesundheitsministerium bestätigte gegenüber dem Hamburger Nachrichtenmagazin, dass es die Dometic-Box einsetzt: „Ein zeitweise verwendetes Transportbehältnis trägt die Handelsbezeichnung ›Dometic Coolfreeze CF 11 Medikamentenkühlbox‹ und wird im medizinischen Fachhandel explizit für den Transport kühlpflichtiger Arzneimittel ausgewiesen.“
Söder setzt Huml ab
Für die bayerische Landesregierung dürften die Vorfälle unangenehm sein. Söder hatte zuletzt in Richtung Berlin und Brüssel moniert: „Es ist schwer zu erklären, dass ein sehr guter Impfstoff in Deutschland entwickelt, aber woanders schneller geimpft wird.“ Nun gibt Bayern hinsichtlich der Panne beim Impf-Start aber selbst nicht das beste Bild ab. Seine Gesundheitsministerin Melanie Huml hat der Ministerpräsident mittlerweile abgesetzt und zu sich in die bayerische Staatskanzlei geholt.
„Mobiler Kühlschrank für Camping, Urlaub, Freizeit und Beruf“
Experten sind wegen der Camping-Ausrüstung beim Impfen entsetzt: Denn für den Transport von Arzneimitteln sind die Bierdosen-Kühler nicht geeignet – insbesondere nicht für eine temperaturgenaue Lieferung des hochempfindlichen Impfstoffs. Bei Online-Versandhändlern findet sich zur Dometic CoolFreeze CF 11 der Hinweis „Mobiler Kühlschrank für Camping, Urlaub, Freizeit und Beruf. Sparsam und leise im Betrieb.“ Auch die Bedienungsanleitung klärt auf, dass die Box zum Kühlen von Lebensmitteln und fürs Campen gedacht ist. Wozu man bei einem Impfstoff-Transport die beiden „integrierten Getränkehalter“ benötigt, weiß auch das bayerische Gesundheitsministerium nicht.
Impfstoff in Camping-Kühlboxen transportiert: „In der Pharmalogistik kommen solche Produkte nicht zum Einsatz“
Fachleute aus der Pharma-Logistik können über den bayerischen Dilettantismus nur den Kopf schütteln. Deren Kommentare gegenüber dem „Spiegel“ hierzu sind vernichtend:
- „Wenn ich mit so einer Box bei einem Kunden auftauchen würde, wäre ich mein Geschäft los.“ (Denis Look, TSafe Group)
- „Solche Boxen wie die von Dometic sollten im Arzneimitteltransport nicht zum Einsatz kommen.“ (Nico Höler, Tec4med)
- „Wenn die Impfstoffe mit solchen Boxen transportiert werden, ist das schon heftig. Für diesen Transport von solchen Medikamenten gibt es geeignetere Lösungen.“ (Christian Mohr, BITO-Lagertechnik)
- „In der Pharmalogistik kommen solche Produkte nicht zum Einsatz. Wir verwenden nur qualifizierte Ausrüstungsgegenstände mit einem entsprechenden Zertifikat.“ (Thomas Engler, TempTrans)
Auch hat das bayerische Gesundheitsministerium es versäumt, die Kühlbox gemäß der „Good Distribution Practice“-Leitlinie (GDP) der EU zu prüfen. Dazu hätte es wochen- oder monatelange Tests benötigt. Laut Ministerium erfolgte zwar „eine fachliche Prüfung durch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittel“, aber wie lange diese dauerte, wie genau oder umfassend sie war, und ob die GDP-Leitlinie befolgt wurde, erläutert das Ministerium gegenüber dem „Spiegel“ nicht.