„hintergrund“ Marktmacht der Handelsriesen Wie wenig Bauern vom Lebensmittelpreis bleibt

„hintergrund“ Marktmacht der Handelsriesen Wie wenig Bauern vom Lebensmittelpreis bleibt

19. Januar 2024 Aus Von mvp-web

Stand: 19.01.2024 10:49 Uhr

Viele Bauern leiden unter niedrigen Preisen für ihre Produkte. Von Preiserhöhungen von Discountern und Supermärkten kommt wenig bei ihnen an. Ist die Macht der Handelskonzerne zu groß?

Thomas Spinnler
Von Thomas Spinnler, ARD-Finanzredaktion

Mit den jüngsten Protestaktionen ist es Deutschlands Landwirten gelungen, die Aufmerksamkeit auf ihre Probleme und die Zukunft der Landwirtschaft zu lenken. Denn neben dem Thema Subventionen gibt es noch andere Ursachen für die wirtschaftlich angespannte Lage vieler Bauern.

Ein vorherrschendes Problem sind niedrige Preise für Agrarprodukte: „Die Preise sind vor allem in Hinblick auf die Kostensteigerung in der Landwirtschaft zu betrachten“, meint Jutta Roosen, Agrarökonomin an der TU München (TUM) und dort Chair of Marketing and Consumer Research gegenüber tagesschau.de. Besonders die Kosten für Futter und Energie sind deutlich gestiegen. Nur ein kleiner Teil des Verbraucherpreises lande tatsächlich beim Landwirt, so die Expertin.

Auch nach Ansicht von Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) sind die Preise für Agrarprodukte eine wesentliche Ursache für die schwierige Lage der Bauern. Backhaus meint, dass die Erzeuger zu niedrige Preise erzielten, während an der Ladentheke die Preise steigen würden. Vor diesem Hintergrund forderte er eine Begrenzung der Macht der Handelsketten durch das Kartellrecht.

Kritik an „unfairen Verträgen“

Welche Rolle spielen Handelsketten, Supermärkte und Discounter bei der Preisgestaltung? Eine wesentliche Rolle – so lautet die These der Initiative für faire Preise in der Lieferkette (IniFair). Sie ist ein Zusammenschluss von Organisationen der bäuerlichen Landwirtschaft, der Milchviehhalter, des Fairen Handels, der Entwicklungspolitik und des Umwelt- und Verbraucherschutzes. Dazu gehören unter anderem das European Milk Board (EMB), die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und Oxfam.

„Noch immer können die vorherrschenden Supermarktkonzerne unfaire Verträge durchsetzen, diese zu ihren Gunsten verändern und Preise für Lebensmittel unter Produktionskosten veranschlagen“, teilte IniFair mit und fordert die Politik zum Handeln auf. Die deutschen Landwirtschaftsbetriebe erhalten laut IniFair im Durchschnitt nur 18 Prozent Wertschöpfung in der Lebensmittelkette, während EU-Landwirtschaftsbetriebe im Durchschnitt 27 Prozent der Wertschöpfung bekommen.

„Die vier größten Lebensmittelkonzerne Edeka, Rewe, Lidl und Aldi beherrschen 85 Prozent des Lebensmittelmarktes in Deutschland. Mit dieser Marktmacht konnten sie die Lebensmittelpreise hochziehen, ohne die Erlöse angemessen an ihre Lieferanten in der Lebensmittelkette weiterzugeben“, erklärt Reinhild Benning, Agrarexpertin der Deutschen Umwelthilfe (DUH), im Gespräch mit tagesschau.de.

Da die Bauernhöfe ganz am Ende der Lebensmittelkette stünden, koste Preisdumping häufig ihre Existenz, so die Expertin. Hinzu komme, dass die Überproduktion bei Fleisch und Milch den Schlachtereien und Molkereien erlaube, die Erzeugerpreise nach unten zu drücken.

Kein kostendeckendes Wirtschaften möglich?

Als beispielhaft für die Situation der Bauern könne der Milchpreis gelten. Milchbauern und Milchbäuerinnen hätten von 2014 bis 2021 im Jahresmittel nie kostendeckende Preise erhalten, unterstreicht Benning. „Wenn wir nicht von unserer Hände Arbeit leben können, ist das fatal, sowohl für unsere Betriebe und Familien als auch für die Gesellschaft“, sagt Frank Lenz, Vorstandsvorsitzender der MEG Milch Board. Einzelne Verbandsfunktionäre sprächen davon, dass Milchpreise von etwas mehr als 40 Cent annehmbar sind, das ändere aber nichts an wirtschaftlichen Fakten. „Zur Kostendeckung fehlen 6,6 Cent“, so Lenz.

Allerdings werden die Preise für viele Produkte nicht zuletzt vom Weltmarkt bestimmt, stellt Agrarökonomin Roosen fest. So sehen das auch der Handelsverband Deutschland (HDE) und der Handelsverband Lebensmittel (BVLH): „Für die Preisbildung landwirtschaftlicher Rohstoffe sind Weltmarktpreise bei allen Produktgruppen von entscheidender Bedeutung“, heißt es von den Verbänden.

Der Haupteinflussfaktor auf die deutschen Milcherzeugerpreise sei der Weltmilchwert. „Daran orientierte Weltmarktpreisänderungen der Milcherzeugerpreise erklären die Änderungen der nationalen Milcherzeugerpreise zu 66 Prozent.“

Wer trägt die Verantwortung in der Lieferkette?

Der Lebensmittelhandel weist ferner darauf hin, dass ihm häufig eine sehr weitgehende Lieferketten-Verantwortung übertragen werde, die nicht seiner tatsächlichen Stellung innerhalb der Lebensmittel-Wertschöpfungskette entspreche. Direkte Vertragsverhältnisse zwischen Handel und der Landwirtschaft seien eher selten, heißt es von den Verbänden HDE und BVLH. Danach werden die meisten Agrarrohstoffe für die Verarbeitung zu Lebensmittelprodukten an die Unternehmen der Ernährungswirtschaft, zu denen Molkereien oder Schlachtbetriebe zählen, verkauft.

Auch da herrschten klare wirtschaftliche Machtverhältnisse: „Acht Molkereien beherrschen mehr als die Hälfte des Rohmilchmarktes, und die Top 10 der Schlachthöfe schlachten über 80 Prozent der Schweine in Deutschland“, erklärt Benning. „Gegenüber stehen Zehntausende Bauernhöfe ohne entsprechende Marktmacht.“

„Überall dort, wo wir an die Verarbeitungsstufe Geld für Produkte zahlen – zum Beispiel bei Molkereien oder Schlachtereien -, haben wir wenig Einblick und keinen Einfluss darauf, wie viel Geld an die Landwirte tatsächlich weitergereicht wird“, erklärt Thomas Bonrath, Pressesprecher der REWE Group gegenüber tagesschau.de. Das sei nicht zuletzt wegen der Komplexität dieser vielstufigen Wertschöpfungskette und daraus folgend ihrer Preisbildung nicht automatisch gewährleistet. 

Was die Politik tun kann

Um die Lösung des Problems, wie man den Landwirten helfen kann, wird derzeit gerungen. „Ein fairer Erzeugerpreis muss Ausgangspunkt jeder Verhandlung sein“, so Bonrath. Partnerschaftliche Lösungen mit der Landwirtschaft hätten immer Priorität. „Diese müssen jedoch auch rechtlich, vor allem kartellrechtlich, möglich sein“, ergänzt der REWE-Sprecher. „Wir kennen noch keinen Vorschlag zu Mindestpreisen oder ähnlichem, der das gewährleistet.“

DUH-Agrarexpertin Benning fordert gemeinsam mit dem Bauernverband European Milk Board (EMB) von der Politik ein Gesetz, das zu einer gerechteren Verteilung der Wertschöpfung in der Lebensmittelkette beitrage: „Mit einem Gebot für kostendeckende Preise und gesetzlichen Regeln für faire Verträge könnte die Regierung gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Landwirte könnten ihre Erlöse sichern. Zudem würden beim Recht auf angemessene Erzeugerpreise Molkereien und Schlachthöfe geringere Mengen in die Verträge schreiben“, so Benning.

Die Überproduktion würde abgebaut und könnte nicht mehr auf die Erzeugerpreise drücken, unterstreicht sie und verweist auf Erfolge in Spanien und Frankreich: „Dort können Bauernhöfe schon auf gesetzliche Regeln gegen unfaire Handelspraktiken verweisen und anständige Verträge sowie bessere Preise durchsetzen.“

Tipps für Verbraucher

Was können Verbraucher tun, um die Landwirte unterstützen? TUM-Agrarexpertin Roosen rät dazu, kurze Wertschöpfungsketten zu nutzen. Die Tipps von DUH-Agrarexpertin Benning sehen ähnlich aus: „Verbraucherinnen und Verbraucher können direkt beim Bauernhof kaufen, sei es auf dem Wochenmarkt, über Gemüsekisten-Abo frisch vom Feld oder im Hofladen oder im Eine-Welt-Geschäft“, rät sie. Auf diesen Wegen bleibe deutlich mehr Wertschöpfung auf dem Land.