Bezahlkarte für Geflüchtete: Was soll sie bringen?

Bezahlkarte für Geflüchtete: Was soll sie bringen?

31. Januar 2024 Aus Von mvp-web

Bezahlkarten für Geflüchtete sollen die Alternative zu Bargeld-Zahlungen sein.

Asylbewerber in Deutschland sollen einen Teil der staatlichen Unterstützung künftig über eine Bezahlkarte beziehen – und nicht mehr als Bargeld. Eine solche bundesweite Karte ist bei einem Treffen der Ministerpräsident*innen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im November 2023 verabredet worden. Eine von der Ministerpräsidentenkonferenz eingesetzte Arbeitsgruppe erarbeitete daraufhin bis Ende Januar 2024 ein Modell für eine Bezahlkarte mit bundeseinheitlichen Mindeststandards. Die Bezahlkarte soll im Laufe des Jahres 2024 bundesweit eingeführt werden.

Was sollen Bezahlkarten leisten, wie funktionieren sie, welche Vorteile erhofft sich die Politik davon – und welche Nachteile sehen Hilfsorganisationen?

Was soll die Bezahlkarte leisten?

Statt mit von den Kommunen ausgezahltem Bargeld sollen Geflüchtete, die im Asylantragsverfahren sind oder nur einen Duldungsstatus haben, ihre Einkäufe über eine Karte abwickeln. Das Geld soll regelmäßig von den Sozialbehörden an Banken überwiesen werden, die die Karten mit dem Guthaben aufladen.

Auf welche Standards haben sich die Bundesländer verständigt?

Geeinigt haben sich die Länder darauf, dass es sich um eine guthabenbasierte Karte mit Debit-Funktion – also ohne Kontobindung – handeln soll, die das Auszahlen von Bargeld ersetzt. Über die Höhe des Barbetrags sowie über weitere Zusatzfunktionen entscheidet jedes Bundesland selbst. Die technischen Möglichkeiten der Bezahlkarte sollen in allen Ländern einheitlich sein. Grundsätzlich soll die Karte bundesweit gelten, Länder können sie aber regional und für bestimmte Branchen einschränken. Nicht vorgesehen sind: ein Einsatz im Ausland, Karte-zu-Karte-Überweisungen und sonstige Überweisungen im In- und Ausland.

Was erhofft sich die Politik von der Bezahlkarte?

Die Ministerpräsidentenkonferenz beschreibt die Ziele so: “Mit der Einführung der Bezahlkarte senken wir den Verwaltungsaufwand bei den Kommunen, unterbinden die Möglichkeit, Geld aus staatlicher Unterstützung in die Herkunftsländer zu überweisen und bekämpfen dadurch die menschenverachtende Schlepperkriminalität.” Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ergänzt: “Mit einer Bezahlkarte werden Bargeld-Auszahlungen an Asylbewerberinnen und -bewerber weitgehend entbehrlich.”

Was macht Mecklenburg-Vorpommern anders?

Das Land geht nur beim anstehenden Vergabe-Verfahren einen Sonderweg, um die Bezahlkarte noch schneller einführen zu können als die anderen Bundesländer. “Inhaltlich” werde sich die Bezahlkarte nicht unterscheiden, teilte das Innenministerium in Schwerin mit.

Wie hoch ist der Geldanspruch von Asylbewerbern?

Der rechtliche Anspruch auf ein “Taschengeld” zur Deckung des “notwendigen persönlichen Bedarfs” richtet sich nach Lebenssituation und Alter der Asylbewerber. In der Erstaufnahme bekommen sie gemäß dem Asylbewerberleistungsgesetz ein Taschengeld von 182 Euro für den persönlichen Bedarf wie Handy-Guthaben oder Busfahrkarten sowie ein Bett und Mahlzeiten gestellt. Leben sie in einer weiterführenden Unterkunft, in der sie sich selbst versorgen müssen, erhalten Alleinstehende 410 Euro, also etwa 40 Euro weniger als Bürgergeld-Bezieher. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts bezogen Ende 2022 rund 482.300 Menschen Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.

Was wird bei der Einführung von Bezahlkarten diskutiert?

Staatliche Bargeld-Zahlungen werden in der politischen Debatte als ein Anreiz für Migranten gesehen, nach Deutschland zu kommen. Geflüchtete könnten die staatlichen Hilfen an Verwandte in ihren Heimatländern überweisen, so die Auffassung, die vor allem die FDP in der Ampel-Koalition vertritt. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erklärte, die Anreize für irreguläre Migration müssten deutlich gesenkt werden. “Die Einführung der bundesweiten Bezahlkarte ist ein Meilenstein.” Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein spricht von einem fatalen Signal, das die Bundes-FDP sende: “Es wird suggeriert, dass Asylsuchende so satt und reichlich ausgestattet werden, dass sie umfangreiche Heimatzahlungen machen können”, sagte Link den “Kieler Nachrichten”. Das sei mitnichten so.

Sind Bargeld-Zahlungen ein Anreiz, nach Deutschland zu kommen?

Tobias Heidland, Experte für Migration und Kapitalströme in Entwicklungsländern des Instituts für Weltwirtschaft aus Kiel, betont, dass es nicht richtig sei, dass Menschen wegen hoher Sozialleistungen in Deutschland ihr Heimatland verlassen würden. Migration sei sehr komplex und durch einfache Push- und Pull-Faktoren, also schlechte Umstände in der Heimat und gute Umstände im Aufnahmeland, nicht zu erklären. “Es wird zu häufig mit einem Verwaltungsblick auf das Thema geschaut. Dass Veränderungen an einem Paragraphen oder Gesetz in Deutschland einen großen Effekt haben würden, halte ich in vielen Fällen nicht für wahrscheinlich, weil die Information gar nicht zu den Migrant*innen durchsickert.”

Schicken Asylbewerber ihr Taschengeld in die Heimat?

Die Bezahlkarte ist laut Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) “ganz bestimmt kein Gamechanger”. Eine Chipkarte zum Einkaufen würde es zwar Geflüchteten etwas unbequemer machen, Geld in die Heimat zu schicken. Das jedoch nicht zu verhindern. Niklas Harder, Integrationswissenschaftler des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), sagte bei NDR Info, es sei gar nicht belegbar, dass Geld aus Sozialleistungen ins Ausland überwiesen werde. “Die Begründung scheint mir auf aufgebauschten Anekdoten zu beruhen. Es gibt keine verlässlichen Zahlen, die sagen, das sei ein verbreitetes Phänomen.” Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sagt, angekommene Asylbewerber würden selten Geld weiterleiten. “Wir beobachten, dass es erst zu Geldzahlungen kommt, wenn die Menschen hier arbeiten und Geld verdienen.” Für die Migrationsentscheidung werde das keine Rolle spielen, das sei “Wunschdenken”.

Wie funktioniert die “SocialCard” in Hannover?

In Hannover wurde am 8. Dezember 2023 die “SocialCard” vorgestellt. Damit ist Hannover bundesweit Vorreiter bei der Bezahlkarte. Das Geld, das den Einwanderern nach Asylbewerberleistungsgesetz zusteht, wird als Guthaben monatlich auf die Karte gebucht. Eine Beschränkung der Kartennnutzung gebe es ausdrücklich nicht, betonte Hannovers Bürgermeister Belit Onay (Grüne). Optisch sehen die Karten aus wie jede andere Bezahlkarte – der Flüchtlingsstatus der Nutzer ist beim Bezahlen also nicht erkennbar. Eine Kooperation mit dem Kartenanbieter Visa soll eine hohe Akzeptanz der Karte gewährleisten.

Was erhofft sich die Stadt Hannover von der Bezahlkarte?

Für die Neuerung sprechen auch verwaltungspraktische Gründe: Die Zahl der monatlich ausgestellten Verpflichtungsscheine war im Sommer 2022 durch die große Anzahl der Geflüchteten aus der Ukraine auf mehr als 1.100 gestiegen, heißt es vonseiten der Stadt. Die Ausgabe und Einlösung sei mit langen Schlangen vor dem Sozialamt und der Sparkassenfiliale verbunden gewesen. Das gehöre nun der Vergangenheit an, ist man sich bei der Stadt sicher – ebenso die Bindung von Personalkapazitäten bei der Ausgabe der Verpflichtungsscheine, sprich: Die Mitarbeitenden sollen sich anderen Aufgaben widmen können.