“analyse” Tarifverhandlungen bei der Bahn Ringen um die 35-Stunden-Woche
12. Februar 2024Nach heftigen Streiks verhandeln Deutsche Bahn und die Lokführergewerkschaft GDL wieder. Die Positionen liegen weit auseinander. Und eine Einigung könnte für den DB-Konzern teuer werden.
Auf dem Papier liegen die Positionen der Parteien im Tarifkonflikt bei der Deutschen Bahn weit auseinander. Die Gewerkschaft der Lokomotivführer (GDL) fordert die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für Schichtarbeiter, dazu 555 Euro mehr Lohn und um 25 Prozent höhere Zulagen. Hinzu sollen höhere Betriebsrenten und eine einmalige steuerfreie Inflationsausgleichsprämie von 3.000 Euro kommen.
Die GDL will den Tarifvertrag nur für ein Jahr abschließen. Für den Arbeitgeber Bahn hieße das, sich danach neuen Forderungen aussetzen zu müssen. Die Bahn will daher über 32 Monate abschließen. Während dieser Laufzeit sollen die Löhne um insgesamt zehn Prozent steigen und die Arbeitszeit um eine Stunde sinken. In knapp drei Jahren würde sich das rechnerisch auf 13 Prozent summieren. Der einmalige Inflationsausgleich würde unverzüglich gezahlt.
Forderungen liegen weit auseinander
Aus veröffentlichten Gehaltsspannen der Bahn lassen sich Durchschnittseinkommen errechnen. Danach bekommen Lokführer monatlich brutto mit allen Zulagen im Schnitt 4.200 Euro, Zugbegleiter 3.800 Euro und das Personal in Speisewagen (“Gastros”) 3.250 Euro. Wenn die Arbeitszeit, wie von der GDL gefordert, bei gleichem Lohn von derzeit 38 auf 35 Stunden sinken würde, käme das einer Lohnerhöhung von rechnerisch rund 8,5 Prozent gleich.
Die Gewerkschaft fordert zusätzlich eine allgemeine Erhöhung der Löhne um 555 Euro. Mehr Lohn bei weniger Arbeit würde für das durchschnittliche Lokführereinkommen ein Plus von 23 Prozent bedeuten, für Zugbegleiter 24 und für Gastros 27 Prozent.
Die geforderte Steigerung der Zulagen um ein Viertel würde zu weiteren Lohnerhöhungen führen. Zulagen gibt es bei der Bahn reichlich: Etwa für Überstunden, Samstagsarbeit, Sonntagsarbeit, Nachtarbeit, Schichtarbeit und Rufbereitschaft. Mangels Detailzahlen ist sie aber von außen nicht kalkulierbar.
13 Prozent auf knapp drei Jahre, die die Bahn anbietet, sind also deutlich weniger als 23 bis 27 Prozent in einem Jahr, wie von der GDL gefordert. Die Lokführergewerkschaft will in einem Jahr neue Verhandlungen mit dann neuen Forderungen führen; die Bahn möchte für 32 Monate Ruhe und Tarifsicherheit.
Attraktiverer Arbeitgeber, der ins Risiko geht?
Die Lokführergewerkschaft legt keine Berechnungen zu ihren Forderungen vor; sie sagt, dass kürzere Arbeitszeit und höhere Löhne letztlich dem Unternehmen zugute kämen. “Ohne ausreichend qualifizierte Eisenbahner funktioniert die Eisenbahn nun mal nicht”, sagt GDL-Sprecher Stefan Mousiol. “Die 35-Stunden-Woche sorgt, verbunden mit der Fünf-Tage-Woche, für eine deutliche Belastungssenkung und wird so den gewünschten und dringend nötigen Schub an neuen Mitarbeitern bringen.”
Die Deutsche Bahn sieht steigende Personalkosten als Risiko für ihr ohnehin verlustreiches Kerngeschäft. Etwa jeder vierte Euro Umsatz des deutschen Bahngeschäfts wird für Personal ausgegeben. Das ist in einem technisch geprägten Unternehmen ein hoher Anteil. In den amtlichen Risikoberichten der DB-Gesellschaften für Fern-, Nah- und Güterverkehr werden Risiken “durch höhere Tarifabschlüsse als bei Wettbewerbern, die einen zusätzlichen Wettbewerbsnachteil bedeuten” hervorgehoben.
Die meisten Beschäftigten bleiben lange
Der Geschäftsbericht des Konzerns schreibt vom “umkämpften Arbeitsmarkt”, in dem die Bahn mit vielen Mitteln versucht, Leute anzuwerben und zu halten. Die Bereitschaft der Beschäftigten, von der staatlichen Deutschen Bahn zu privaten Bahnunternehmen zu wechseln, steigt seit Jahren auf mittlerweile knapp sechs Prozent.
Der Großteil der Belegschaft ist der Deutschen Bahn aber treu verbunden. Das im Schnitt 44 Jahre alte Personal gehört dem Unternehmen durchschnittlich 16 Jahre an. An internen Personalbefragungen beteiligen sich sehr viele Angestellte. Die Bahn behauptet, es werde hohe Zufriedenheit erklärt.
Gefälle innerhalb des Unternehmens
Die Gewerkschaft der Lokomotivführer ist nur in 18 der dreihundert deutschen Bahnbetrieben so stark, dass sie Tarifverhandlungen führen kann. In diesen 18 Betrieben arbeiten etwa zehntausend der insgesamt 210.000 deutschen Bahn-Mitarbeiter. Während Tarifverträge der großen Konkurrenzgewerkschaft EVG Wochenarbeitszeiten von 39 Stunden vorsehen, wird unter GDL-Tarifverträgen schon jetzt nur 38 Stunden gearbeitet.
Es gibt Ausnahmen. Aus den Zeiten, da die Bahn eine Behörde war, sind noch viele Beamte im Unternehmen. 2.300 der insgesamt zwanzigtausend Lokführer sind Beamte. Da sie nicht von Tarifverträgen für Angestellte erfasst sind, arbeiten sie auch in GDL-Betrieben 39 Stunden pro Woche.