Münchner Sicherheitskonferenz „Weltpolitik im Brennglas“
15. Februar 2024Seit gut 60 Jahren kommen hochrangige Politiker im Hotel „Bayerischer Hof“ in München zusammen. Die Sicherheitskonferenz bietet ihnen die offene Bühne – aber auch Raum für unbeobachtete Gespräche.
„Excuse me, I am not convinced!” Diesen Satz ruft Joschka Fischer lautstark Richtung US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Im Jahr 2003 geht es bei der Münchner Sicherheitskonferenz um den drohenden Irak-Krieg. Rumsfeld wirbt für Unterstützung. Der damalige deutsche Außenminister Fischer lässt sein vorbereitetes Rede-Manuskript links liegen, wechselt spontan ins Englische und erklärt lautstark, dass er nicht überzeugt sei und dass er der Öffentlichkeit keine Kriegsbeteiligung erklären könne, wenn er selbst den US-amerikanischen Argumenten keinen Glauben schenke.
Dissenz auf offener Bühne: Donald Rumsfeld und Joschka Fischer bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2003.
Ein seltener Ausbruch für ein Treffen, das eher für vertrauliche Gespräche als Konflikte auf offener Bühne bekannt ist. Denn die Sicherheitskonferenz ist berühmt für ihren „informellen Charakter“. Es gibt keine Beschlüsse, keine Abschluss-Erklärung.
Das unterscheidet die Sicherheitskonferenz von politischen Gipfeln wie G7 oder G20. In den Hotelzimmern des Bayerischen Hofs, in denen die Konferenz mit wenigen Ausnahmen immer stattfand, können Staats- und Regierungschefs sowie hochrangige Militärs oder Diplomaten dieser Welt unter Ausschluss der Öffentlichkeit miteinander reden.
Erste „Wehrkunde-Tagung“ 1963
„Hier ist Gelegenheit, Bemerkungen zu machen, die vielleicht nicht so abgewogen sind wie normalerweise, hier auch Ungewöhnliches zu sagen“, beschrieb Ewald von Kleist, der Gründer des Treffens, den Wert der Sicherheitskonferenz einst. Von Kleist war als Wehrmachtssoldat Teil der Gruppe Stauffenberg, die ein Attentat auf Hitler verübte.
1963 lud er erstmals in München zur „Wehrkunde-Tagung“ ein, aus der später die Sicherheitskonferenz hervorging. In den Jahren zuvor brachten zwei Ereignisse den Planeten an den Rand eines dritten Weltkriegs: erst der Bau der Berliner Mauer, dann die Kuba-Krise. In diesem Klima wollte von Kleist nun ein Forum schaffen, in dem auf Augenhöhe über das deutsch-amerikanische Verhältnis und Sicherheitspolitik in Zeiten des Kalten Krieges gesprochen wird.
SPD-Politiker Egon Bahr, der als Architekt der Ostpolitik unter Willy Brandt gilt, nannte von Kleist einst „einen Glücksfall“. „Er war der Einzige, der glaubwürdig und unangreifbar die Fähigkeit hatte, eine solche Konferenz ins Leben zu rufen, auf der die Deutschen anfangen konnten, machtpolitisch flügge zu werden“, so Bahr im Jahr 2014.
Mehr als nur Politik
Ein wichtiger Faktor für die Teilnehmer ist jenseits der weltpolitischen Fragen auch der Bayerische Hof. Für viele sei das Hotel besonders attraktiv, weil es direkt in der Münchner Innenstadt liege, erklärte der ehemalige Leiter des Treffens, Wolfgang Ischinger: „Es gibt manchen die Gelegenheit, zwischendurch einmal auszubüxen.“
Sein Vorgänger Horst Teltschik machte die gleiche Beobachtung: „Alles in Fußnähe, das lieben sie. Sie können abends zum Franziskaner Biergarten gehen, wenn noch frei ist, oder mittags einfach mal über den Marienplatz laufen.“
So gibt es beispielsweise Bilder, wie Hillary Clinton 2005 in der Innenstadt shoppen war. Als in den 1990ern das Treffen für einige Jahre in ein Hotel etwas außerhalb der Münchner Stadtmitte verlegt wurde, sollen besonders die US-amerikanischen Gäste protestiert haben.
Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden – Hillary Clinton 2005 in München.
Für die Münchner bedeutet das Treffen dagegen: Weite Teil der Stadt sind abgesperrt, Tausende Polizisten im Einsatz, Gullydeckel werden zugeschweißt, Bus- und Tramlinien fallen aus. Das Gebiet rund um den Bayerischen Hof verwandelt sich in eine Hochsicherheitszone. Wenig überraschend begeistert das nicht jeden.
Neue Themen zur Jahrtausendwende
Gründer von Kleist gab 1998 die Leitung an Teltschik ab. Weiterhin durften nur geladene Gäste auf die Bühne. Doch fortan öffnete sich das Treffen verstärkt anderen Teilen der Welt. Vertreter aus Osteuropa kamen, aber auch aus Ländern wie Japan, China und Indien.
Das Themenspektrum änderte sich mit der Zeit ebenfalls: Statt um reine Sicherheitspolitik geht es heute genauso um Wirtschaft, Klimawandel und Menschenrechte. Neben hochrangigen Politikern sowie Wirtschaftsvertretern sind inzwischen auch Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen wie Human Rights Watch oder Greenpeace anzutreffen.
Gründer Ewald von Kleist bei der Konferenz im Jahr 1978.
Putins Attacke auf den Westen
Sicherheitspolitik blieb dennoch immer präsent, besonders als 2007 ein Hauch von Kaltem Krieg durch München wehte: Wladimir Putin nahm als erster russischer Präsident an dem Treffen teil. Vorab nahmen das manche als Signal der Entspannung wahr.
Doch sie staunten, als Putin auf der Bühne auf Attacke schaltete. „Heute sind wir Zeugen einer fast unbegrenzten Anwendung militärischer Mittel“, erklärte er dort. „Diese Gewaltanwendung zieht die Welt in die Tiefe militärischer Konflikte.“ Es fehle an Kraft, eine gemeinsame Lösung zu finden.
Wladimir Putin geht 2007 auf Konfrontationskurs.
Der russische Präsident kritisierte zudem die NATO-Osterweiterung und warf den USA und ihren Verbündeten vor, für zahlreiche Kriege verantwortlich zu sein. Bei der US-amerikanischen Delegation sah man versteinerte Minen.
Putin war trotz Abwesenheit auch das große Thema beim Treffen vor zwei Jahren. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte: „Die Ukraine sehnt sich nach Frieden. Europa sehnt sich nach Frieden. Die Welt sagt, dass sie keinen Krieg möchte, während Russland sagt, es möchte nicht eingreifen. Irgendjemand lügt hier.“
Nur wenige Tage danach begann der russische Angriff. Hoffnungen im Vorfeld der Sicherheitskonferenz, dass russische Vertreter kommen würden und man den Dialog suchen könnte, zerschellten. Aus Moskau erschien schlussendlich niemand Offizielles.
Proteste gegen Sicherheitskonferenz haben Tradition
Vergangenes Jahr brachte Russlands Angriff auf die Ukraine Tausende auf die Straßen. Es gab die traditionellen Anti-Kriegs-Demos, aber auch pro-ukrainische Kundgebungen.
Proteste gehören zur Münchner Sicherheitskonferenz seit mehr als 20 Jahren dazu. Als 2002 die erste Sicherheitskonferenz nach den Terroranschlägen vom 11. September stattfand, verhängte die Stadt ein Demonstrationsverbot. Zehntausende gingen trotzdem auf die Straße. Es kam zu Hunderten Festnahmen. Auch in den Jahren danach war der Vorwurf zu hören, die Politik würde Proteste kriminalisieren.
Proteste bei der Sicherheitskonferenz 2002.
Seit 2003 gibt es als Gegenveranstaltung die Münchner Friedenskonferenz. Die Kritiker werfen dem Treffen im Bayerischen Hof vor, dass das Sicherheitsverständnis der Teilnehmenden auf Dominanz und Machterhalt ausgerichtet sei, dass es eine Konferenz von Kriegstreibern sei. Zudem ist ihnen ein zentrales Merkmal der Sicherheitskonferenz ein Dorn im Auge: Dass es Absprachen in Hinterzimmern gibt, von deren Inhalt nichts an die Öffentlichkeit dringt.
Doch es gibt auch Signale in Richtung Entspannung auf der Sicherheitskonferenz: So unterzeichneten 2011 die Außenminister der USA und Russland, Hillary Clinton und Sergej Lawrow, das START-Abkommen zur Abrüstung. Gespräche darüber hatten in den Jahren zuvor ebenfalls in München Fahrt aufgenommen.
Pelosi: „Nur so lassen sich Probleme lösen“
In diesem Jahr dürfte wenig Spielraum für die Signale der Entspannung vorhanden sein: Der Krieg in der Ukraine und der Krieg in Gaza werden bestimmende Themen. Genauso die Frage, wie sich Europa aufstellen muss, sollte es eine zweite Amtszeit von Donald Trump geben. Der kündigte jüngst an, säumige NATO-Mitglieder nicht bei einem russischen Angriff verteidigen zu wollen.
„Man sieht durch die öffentlichen Auftritte, durch die Podiumsdiskussion die Weltpolitik im Brennglas“, sagt der gegenwärtige Leiter der Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen. „Wir versuchen alle wichtigen Konflikte auch irgendwie darzustellen.“
Und dabei braucht es laut langjährigen Teilnehmern das offene Wort. „Es bringt nichts, dort hinzugehen und so diplomatisch zu sein, dass die wichtigen Themen ignoriert werden“, sagt Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, in der BR-Dokumentation „Hotel Weltpolitik“.
„Das ist das Schöne an der Münchner Sicherheitskonferenz: Staatschefs, Gesetzgeber und andere Diplomaten kommen zusammen – mit Ehrlichkeit und Offenheit“, so Pelosi. „Und nur so lassen sich Probleme lösen.“
Einen Blick hinter die Kulissen bietet die BR-Dokumentation „Hotel Weltpolitik – Inside Münchner Sicherheitskonferenz“.