EU kündigte zuvor Lieferstopp anImpf-Streit: Mit zwei Telefonaten brachte Boris Johnson von der Leyen zum Einknicken
31. Januar 202117:28:57
Am Freitag hatte die EU-Kommission angekündigt, 3,5 Millionen Impfstoffdosen nicht von Belgien nach Großbritannien exportieren zu wollen. Premierminister Boris Johnson reagierte empört und brachte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schnell zu einem Rückzieher.
Boris Johnson brauchte offenbar nur zwei Telefonate innerhalb von 30 Minuten, um EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu zu bringen, den Lieferstopp des Corona-Impfstoffs nach Großbritannien zurückzunehmen.
Zuvor hatte die EU angekündigt, 3,5 Millionen Dosen des Impfstoffs von Biontech/Pfizer nicht von Belgien nach Großbritannien exportieren zu wollen – auch eine Lieferung über die inner-irische Grenze sollte verhindert werden. Am Freitagabend veröffentlichte die Kommission dazu ein Dokument, das Exportkontrollen von Impfstoffen regeln soll. Darin hieß es, die EU könne sich auf einen Notfallmechanismus im Brexit-Abkommen – der Artikel 16 des Nordirland-Protokolls – berufen, um zu kontrollieren, ob und wie viel Impfstoff über die Grenze vom Mitgliedsland Irland ins britische Nordirland gelangt.
Spahn lehnt Schuldzuweisungen bei Impfproblemen ab
20.00 Uhr: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wehrt sich gegen Schuldzuweisungen bei Problemen mit der Impfstoffversorgung. Es helfe im Moment nicht, „wenn jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt“, sagte der CDU-Politiker im ZDF. Die Dinge müssten zwar aufgearbeitet werden. „Aber in der Akutphase der Pandemie müssen wir jetzt erstmal die Probleme des Tages lösen.“
Auf die Frage, ob die EU-Kommission in Brüssel Verantwortung trage, sagte Spahn: „Im Nachhinein hätte man auch natürlich dort, wie auch im Bund, wie auch im Land, wie auch im Landkreis manche Dinge früher machen können.“
Von der Leyen: AstraZeneca wird neun Millionen Dosen mehr liefern
19.27 Uhr: Der Pharmakonzern AstraZeneca wird der Europäischen Union neun Millionen zusätzlicher Dosen seines Corona-Impfstoffes innerhalb des ersten Quartals liefern. Das kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter an. Insgesamt soll die EU 40 Millionen Dosen im ersten Quartal erhalten. Außerdem werde die Lieferung eine Woche früher als geplant beginnen, der Konzern werde zudem seine Produktionskapazitäten in Europa ausbauen.
Großbritannien impft knapp 600.000 Menschen an einem Tag18.42: Während das Corona-Impfprogramm in der EU nur schleppend vorankommt, verzeichnet Großbritannien Rekordzahlen. Allein am Samstag wurden nach Angaben der Regierung im Vereinigten Königreich knapp 600.000 Impfdosen verabreicht. Die Zahl der Erstimpfungen stieg damit auf knapp neun Millionen. Eine zweite Dosis haben aber erst rund 490.000 Menschen erhalten. Bis Mitte Februar will die Regierung allen 15 Millionen Menschen aus den am meisten gefährdeten Personengruppen eine Impfung ermöglichen.
Zwar ist die Zahl der Neuinfektionen im Vereinigten Königreich in den vergangenen Wochen deutlich gesunken, doch liegt sie mit mehr als 20.000 Fällen, die allein am Sonntag gemeldet wurden, noch immer auf einem hohen Niveau. Auch bei der Zahl der Todesfälle gibt es einen Abwärtstrend. Am Sonntag wurden 587 Tote verzeichnet. An Wochenenden ist diese Zahl aber wegen Verzögerungen im Meldesystem häufig deutlich niedriger als an Wochenenden.
„Konstruktive Gespräche“: Von der Leyen rudert nach Johnson-Telefonaten zurück
Premier Johnson warnte daraufhin davor, dass ein solcher Export-Stopp den inner-irischen fragilen Frieden in Gefahr bringen könne und berief ein Notfalltreffen mit seinem Kabinett ein. Anschließend telefonierte er mit von der Leyen. Laut der britischen Zeitung „Daily Mail“ warnte Johnson von der Leyen, dass sie mit ihrem Handeln riskiere, Millionen Rentern ihre zweite Impfung zu verweigern.
Eine halbe Stunde später gab von der Leyen im zweiten Telefonat schlussendlich nach. Die Gespräche seien „konstruktiv“ gewesen, schrieb sie auf Twitter. „Wir haben uns auf den Grundsatz geeinigt, dass es keine Beschränkungen für den Export von Impfstoffen durch Unternehmen geben sollte, wenn diese ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen“, so von der Leyen weiter.
Laut der „Daily Mail“ hat die britische Regierung vor den Gesprächen bereits Notfallpläne ausgearbeitet, um jede EU-Blockade „zu brechen“. Im Rahmen eines „Impf-Sicherheits-Manövers“, entwickelt aus No-Deal-Brexit-Plänen, hätten die Impfdosen in einer Art Luftbrücke aus der EU nach Großbritannien geflogen werden können.
Kritik an Kommissions-Vorstoß nicht nur in Großbritannien groß
Die Empörung über von der Leyens ursprünglichen Vorstoß war über alle politischen Lager in Großbritannien hinweg groß. Nordirlands Regierungschefin Arlene Foster von der protestantisch-unionistischen DUP sprach gar von einem „unglaublich feindseligen und aggressiven Akt“. Auch die Regierung in Dublin, die Brüssel nicht zu Rate gezogen hatte, war verärgert. „Es ist, als wollten sie unbedingt jeden, der für den Verbleib in der EU gestimmt hatte, davon überzeugen, dass der Brexit doch eine gute Idee war“, brachte ein britischer Nachrichtensprecher die Stimmung auf den Punkt. Da half es auch nichts, dass Brüssel innerhalb von Stunden zurückruderte.
Nicht nur in Großbritannien wurden in den Meinungsspalten Zweifel an der Fähigkeit der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen laut. Die Deutsche habe ein „unvergessliches Brexit-Eigentor“ geschossen, resümierte beispielsweise die „Welt“. Die Weltgesundheitsorganisation bezeichnete die Pläne als „besorgniserregend“.
Neuer Tagesrekord: Britische Impfkampagne weiterhin deutlich vor EU
Großbritannien dagegen verzeichnete nach Johnsons diplomatischem Sieg einen Tagesrekord an Erstimpfungen: 487.756 Briten wurden am Samstag gegen das Coronavirus geimpft. Damit liegt die Gesamtzahl an Impfungen nun bei fast 8,4 Millionen. Zum Vergleich: In Deutschland sind es gerade einmal etwas mehr als 1,8 Millionen und in anderen EU-Mitgliedsstaaten sieht es kaum besser aus.
Mit seiner Impfkampagne ist Großbritannien beeindruckend weit vorne. Vor allem weit vor der Europäischen Union. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung in London noch Kritik einstecken müssen, weil sie nicht am gemeinsamen Beschaffungsprogramm der EU teilnehmen wollte. Inzwischen wird sie daheim dafür geradezu gefeiert.