Merkel spricht erstmals von Öffnungsstrategie: Bund-Länder-Gipfel: Merkel plant und mahnt – wann Lockerungen kommen könnten
28. Februar 202114:40:25
Am Mittwoch wollen Kanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Länder über weitere mögliche Öffnungsschritte beraten. Streit bahnt sich vor allem beim Thema Tourismus, aber auch bei der Festlegung möglicher Inzidenzwerte für Lockerungen an.
Bereits bei der letzten Konferenz, am 10. Februar, zeigten sich einige Länder-Chefs und Interessensverbände enttäuscht ob der Zögerlichkeit der Bundeskanzlerin und der Gruppe der Corona-Hardliner um CSU-Chef Markus Söder. Am Ende einigte man sich auf eine länderindividuelle Öffnung für Kitas und Grundschulen sowie eine Arbeitserlaubnis für Friseure ab dem 1. März – mehr jedoch nicht. Am 3. März steht nun die nächste Beratung an.
Pfingsten kursiert als Datum
Was ist dabei zu erwarten? Es dürften Öffnungen in homöopathischen Dosen sein. Genug, um den Menschen nach dem Winter-Lockdown ein wenig Hoffnung zu geben. Aber so sparsam dosiert, dass auch durch die immer mehr verbreiteten Mutationen nicht gleich automatisch ein Rückfall ins exponentielle Wachstum droht.
Doch es ist ein schmaler Grat. Auch in Merkels Umfeld weiß man um die riesigen Öffnungserwartungen in der Bevölkerung, glaubt wegen der Mutationen aber nicht daran, in nächster Zeit die magische 35er-Inzidenz überhaupt erreichen zu können.
Hinter vorgehaltener Hand heißt es in der Bundesregierung, aus epidemiologischer Sicht werde man wohl erst um Pfingsten herum soweit sein, dass im größeren Stil geöffnet werden kann, wegen der dann fortgeschrittenen Impfungen auch von Menschen mittleren Alters mit Vorerkrankungen sowie dem Sommer-Effekt. Pfingsten ist Ende Mai.
Lockdown-Lockerungen und Öffnung: Was Angela Merkel und die Länder-Chefs zögern lässt
Gehen wir in die Details: Grund für die Zurückhaltung ist die sich auch in Deutschland immer stärker ausbreitende Corona-Mutation B.1.1.7. Gut zwanzig Prozent aller Fälle in Deutschland sind derzeit auf die deutlich ansteckendere Variante zurückzuführen: Tendenz steigend. Und auch der Trend der rückläufigen Corona-Inzidenzen kehrte sich in der vergangenen Woche um.
In dieser Gemengelage suchen Merkel und die Minister nach dem richtigen Kurs. Ein Balance-Akt, der die zentrale Frage aufwirft: Wie weit kann das Land geöffnet werden, ohne der neuen Mutation zu viel Angriffsfläche zu bieten?
Kanzlerin und Kanzleramt im Schlingerkurs Richtung Gipfel
Gleichzeitig gilt auch das Prinzip Hoffnung: Erstmals seit Beginn des Lockdowns Mitte November brachte Angela Merkel (CDU) in der Präsidiums- und Bundesvorstandssitzung der CDU am vergangenen Montag eine Öffnungsstrategie in mehreren Etappen ins Spiel- und schickte prompt schickte auch die entsprechenden Mahnung hinterher.
„Öffnungsschritte mit vermehrten Tests müssen klug eingeführt werden“, wurde Merkel von Teilnehmern zitiert. Kanzleramtschef Helge Braun, und enger Merkel-Vertrauter, verwies demnach auf die zusätzlichen Risiken durch die Mutationen: „Die Mutation zerstört unsere gute Entwicklung leider gerade.“Nur wenige Stunden später erklärte Braun in einer Schaltung zwischen der Bundesregierung und den Staatskanzleien, dass zurzeit eigentlich „keinerlei Öffnungen“ möglich seien. Grund seien die aktuell leicht steigenden Fallzahlen. Die 7-Tages-Inzidenz pro 100 000 Einwohner stieg laut Rober-Koch-Institut zuletzt wieder leicht an: von 57 (14. Februar) auf aktuell 59 (24. Februar).
Zudem erklärte Braun, dass Öffnungen nur in Verbindung mit einer geeigneten Teststrategie möglich seien.
Kanzlerin konkretiert den Plan
Trotzdem hat Merkel ihren Plan wenige Tage später konkretisiert: Die Lockerungen müssten in drei Strängen betrachtet werden, sagte Merkel der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom Donnerstag:
- Ein erster Strang betreffe dabei die persönlichen Kontaktbeschränkungen.
- Ein zweiter Strang umfasse den Bildungsbereich. Man müsse auch die höheren Klassen in die Schulen zurückholen, so Merkel. Auch Berufsschulen und Universitäten müssten wieder geöffnet werden.
- Ein dritter Strang beinhalte die Lockerungen bei Geschäften, Restaurants, Hotels, Kultureinrichtungen und den Gruppensport.
Nun müsse erarbeitet werden, wie eine mögliche Reihenfolge – „vor dem Hintergrund des Infektionsgeschehen“ – der Lockerungen aussehen könnte. Merkel erklärt: „Also unter welchen Voraussetzungen welcher Bereich aus welchem der drei Stränge geöffnet werden kann und soll.“
Schnelltests sind wichtig – aber es geht nicht am 1. März los
Die Öffnungen müssten von umfassenden Schnelltests flankiert werden, so dass sich die Bürgerinnen und Bürger gleichsam „freitesten“ lassen könnten, um an einem sich langsam normalisierenden öffentlichen Leben teilzunehmen. Bereits im März solle ein solches Testsystem funktionsfähig sein. Den Plan von Gesundheitsminister Jens Spahn, wonach ab dem 1. März Millionen von Schnelltests öffentlich verfügbar hätten sein sollen, kassierte die Kanzlerin wegen Sorgen bei der Umsetzung ein.
„Eine intelligente Öffnungsstrategie ist mit umfassenden Schnelltests, gleichsam als Freitesten, untrennbar verbunden“, sagte Merkel. Damit dies gelinge, müssten noch offene Fragen geklärt und das ganze Vorgehen am 3. März mit den Ministerpräsidenten beraten werden. „Wie lange es dann dauert, bis ein solches System installiert ist, kann ich auf den Tag genau noch nicht sagen. Es wird aber im März sein“, sagte Merkel.
Sie werde kommende Woche mit den Ministerpräsidenten zudem besprechen, „ob wir mit einer deutlich größeren Zahl von Schnelltests einen Puffer schaffen können“, sagte die Kanzlerin weiter. Grundsätzlich könne ein Schnelltest zeigen, „dass jemand an genau dem Tag nicht infiziert ist, oder umgekehrt dass jemand, obwohl noch symptomlos, bereits infiziert und auch ansteckend ist“.
Vor Bund-Länder-Gipfel: Gerangel um die Inzidenzwerte
Unstimmigkeiten gibt es vor allem darüber, ab welchen Inzidenzwerten Öffnungsschritte greifen sollen. Bund und Länder hatten sich Mitte Februar auf einen Wert von 35 als Zielmarke geeinigt. Für Verwunderung und Ärger sorgten daher die Äußerungen durch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet.
Am Rande einer Veranstaltung des baden-württembergischen CDU-Wirtschaftsrats sagte der CDU-Vorsitzende vergangene Woche: „Man kann nicht immer neue Grenzwerte erfinden, um zu verhindern, dass Leben wieder stattfindet.“ Damit distanzierte sich Laschet offensichtlich von der zuvor gemeinsam mit Merkel und den restlichen Ministerpräsidenten ausgearbeiteten Position und erntete dafür massive Kritik.
Einzelhandel pocht auf Öffnungen – nun mit Brief an Kanzleirn
Bereits nach dem letzten Gipfel zeigten sich Vertreter des Einzelhandels schockiert ob der Nichtberücksichtung in den Plänen der Politik. Umso deutlicher fallen nun die Forderungen aus.
So verlangt der Industrieverband BDI eine schrittweise Abkehr von der bisherigen Lockdown-Strategie. Verbandspräsident Siegfried Russwurm sagte der „Rheinischen Post“ Mitte Februar, das „Ausprobieren von Maßnahmen muss ein Ende haben“.
Nun haben der Präsident des Handelsverbandes Deutschland (HDE) Josef Sanktjohanser und zahlreiche Topmanager der Branche ihren Forderungen nochmals Nachdruck verliehen: Und zwar in einem Brief an die Kanzlerin, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Dem Handel und seinen Beschäftigen müsse endlich eine tragfähige Zukunftsperspektive geboten werden.
Die Aussage, bei einem stabilen Wert von 35 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner in einer Woche könne es zu weiteren Öffnungsschritten kommen, reiche für den Handel nicht. „Unsere Betriebe brauchen nachdrücklich Planungssicherheit, unter welchen Bedingungen und in welchem Zeitrahmen sie ihre Geschäfte wieder öffnen können.“
Unterschrieben wurde der Brief unter anderem vom Chef der Otto-Group Alexander Birken, dem Chef der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) Klaus Gehrig, Edeka-Chef-Markus Mosa, Galeria-Karstadt-Kaufhof-Chef Miguel Müllenbach und Douglas-Chefin Tina Müller.
Vor dem Gipfel: Welche Öffnungsideen die Bundesländer haben
Der Handel war bereits davor ein großes Thema: Einen Vorstoß für eine Öffnung des Handels wagte hier Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. In einer Videoschalte des CSU-Parteivorstands in München am vergangenen Montag stellte er weitere Lockerung in Aussicht – allerdings nur in Regionen, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz der Corona-Neuinfektionen stabil unter 35 liegt. „Wir wollen schützen und atmen zugleich“, betonte Söder.
Einen Schritt weiter ging Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther im ARD-Mittagsmagazin am Montag: „Wir haben ja keinen Hehl daraus gemacht, dass wir einen Stufenplan für richtig halten.“ Es seien nun Lockerungen in den Bereichen dran, über die in der letzten Sitzung gesprochen wurde: „Der Einzelhandel muss eine Rolle spielen, der Kulturbereich, wir haben beim letzten Mal auch über Sport in Gruppen gesprochen, die hier eine Rolle spielen“, sagte Günther.
Wie gemischt die Stimmung beim Thema Handel ausfällt, zeigt sich in Baden Württemberg. Dort hält man sich bezüglich möglicher Öffnungen bedeckt. Zwar seien die Infektionszahlen in Baden-Württemberg mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von um die 40 bundesweit weiter am niedrigsten. Allerdings stagnierten die Zahlen derzeit. Man müsse angesichts der Corona-Mutationen vorsichtig bleiben, sagt Regierungssprecher Rudi Hoogvliet.
Vor Bund-Länder-Gipfel: Und was ist mit den Osterferien?
Und dann wäre da noch die Frage nach dem Osterurlaub, den sowohl viele Familien als auch Hoteliers gleichermaßen herbeisehen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) verwies in einem Schreiben an den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) auf die „riesige“ Not in der Branche. Insbesondere die Bundesländer an Nord-und-Ostsee, in denen der Tourismus eine prominente Rolle innerhalb der lokalen Wirtschaft einnimmt, drängen deswegen auch hier auf Lockerungen.
„Natürlich gilt es auch die Frage nach den Übernachtungsmöglichkeiten, gerade hinsichtlich Ostern, zu klären“, erklärte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther. Dafür müssten bestimmte Inzidenzwerte erreicht werden. Besonders wichtig sei es, „dass wir auch Perspektiven geben. Das ist jetzt in diesen Zeiten für ganz, ganz viele Menschen unglaublich wichtig.“
Ganz ähnliche Forderungen hört man aus Mecklenburg-Vorpommern. Dort liegt ein Vorschlag für den Ausstieg aus den coronabedingten Schließungen für Einzelhandel, Tourismus und Dienstleistungen auf dem Tisch, der von Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften, Kommunen und Landesregierung Mitte Februar erarbeitet wurde. Dabei einigte man sich nach Angaben von Teilnehmern auf einen Plan, der abhängig von der Entwicklung der Infektionszahlen eine Öffnungsperspektive vor Ostern eröffne.
Bayerns Ministerpräsident Söder rechnet hingegen nicht mit schnellen Lockerungen für Urlaubsreisen in den Ferien. Er würde allerdings nicht so weit gehen wie beispielsweise der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU).
Dieser hatte gesagt, es werde in diesem Jahr „auf keinen Fall“ Osterurlaub geben. „Wir haben in den letzten Wochen eine deutliche Verbesserung erlebt“, sagte Söder nun in dem Interview. Allerdings müsse man „jetzt erstmal die Mutationen abwarten“.