Debatte über Lockdown: Lockerungen ab Montag in Sicht?
2. März 2021Stand: 02.03.2021 13:12 Uhr
Werden die Beschränkungen gelockert – und wenn ja, wie sehr? Kurz vor dem Bund-Länder-Treffen bringen sich die Länderchefs mit Forderungen und Warnungen in Position. Derweil wurde eine erste Beschlussvorlage bekannt.
Einen Tag vor dem Bund-Länder-Treffen zur künftigen Corona-Strategie ist die Debatte über Öffnungen wieder in vollem Gange. Dabei sind sich die Länderchefs uneins in der Frage, wie schnell und wie sehr man die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie lockern sollte. Während die einen für rasche Öffnungen auch bei höheren Inzidenzwerten plädieren, warnen andere vor voreiligen Schritten.
Derweil werden erste konkrete Vorschläge für die Beratungen bekannt. So soll es laut einer Beschlussvorlage eine Verlängerung der meisten Beschränkungen bis zum 28. März geben – allerdings bei einer teilweisen Lockerung der Kontaktbeschränkungen und einer schrittweisen Öffnung verschiedener Bereiche wie Handel, Kultur und Sport.
Stufenplan für Öffnungen
Die strengen Kontaktbeschränkungen sollten laut der Vorlage bereits ab kommenden Montag gelockert werden. Es seien dann „private Zusammenkünfte des eigenen Haushalts mit einem weiteren Haushalt möglich, jedoch auf maximal fünf Personen beschränkt“, heißt es in dem Papier. Medienberichten zufolge handelt es sich bei dem Schreiben um eine Vorlage des Kanzleramts nach Absprachen mit Bayern und Berlin sowie mit Finanzminister Olaf Scholz.
Das gesellschaftliche Leben soll dem Dokument zufolge in Abhängigkeit von den Infektionswerten in mehreren Stufen wieder zurückkehren können. Nach der bereits umgesetzten ersten Stufe – der Öffnung der Friseure – sollten als nächstes bundesweit Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte aufmachen dürfen. Der dritte Schritt soll demnach greifen, wenn der Inzidenzwert stabil unter 35 sinkt. Dann sollen der Einzelhandel, Kultureinrichtungen und Sportstätten unter Auflagen wieder öffnen dürfen. Die vierte Stufe wäre die Öffnung der Außengastronomie und der Wegfall mancher Auflagen für Einzelhandel und Sport.
Debatte über Inzidenzwert
Begleitet werden sollen die Lockerungen durch eine starke Ausweitung der Impfkampagne und der Testkapazitäten. Man wolle „erproben“, ob durch die deutliche Ausweitung von Tests in Verbindung mit einer besseren Nachvollziehbarkeit der Kontakte im Falle einer Infektion Öffnungsschritte auch bei höheren Sieben-Tage-Inzidenzen als 35 möglich würden. Allen würden ein oder zwei kostenlose Schnelltests pro Woche angeboten.
Damit würden Bund und Länder vom beim letzten Treffen vereinbarten Inzidenzwert von 35 als alleinigem Maßstab für Lockerungen abrücken. Das hatte gestern bereits Wirtschaftsminister Peter Altmaier bei einer virtuellen Veranstaltung des Mittelstandsverbands BVMW ins Spiel gebracht. Wenn man die regionalen Umstände berücksichtige, könnten Öffnungen auch dort möglich sein, „wo die Inzidenzen vielleicht nicht ganz so stark gesunken sind, wie wir uns das eigentlich vorgestellt haben“, sagte der CDU-Politiker.
Laschet für kontrollierte Öffnungsschritte
Auch Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet sprach sich für kontrollierte Öffnungsschritte ohne Fokussierung auf Inzidenzwerte anstatt eines langen Corona-Lockdowns aus. „Jetzt gilt konzentrierte Sicherheit statt dauerhaftes Schließen“, sagte Laschet dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Schäden der Pandemie müssten sorgfältig abgewogen werden. Er forderte eine vorsichtige Öffnung mit einer ganzen Breite von Schutzmaßnahmen und den besseren Einsatz digitaler Möglichkeiten.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sprach sich ebenfalls dafür aus, bereits über einer Inzidenz von 50 zu lockern. „Die Menschen sind nach dem Lockdown erschöpft“, sagte der amtierende Bundesratspräsident den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“. Es müsse verhindert werden, dass „vieles in den illegalen Bereich wandert“. Sonst breite sich das Virus noch stärker aus.
„Stufenplan unabdingbar“
Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, warb für sorgfältige Öffnungspläne. „Wir müssen uns immer absichern, dass Öffnungsschritte zurückgenommen werden. Damit kommt die Idee des Stufen- und Perspektivplans, den wir Ende Januar schon vorgelegt haben“, erklärte er im ARD-Morgenmagazin. Viele Menschen hätten lange genug warten müssen. „Es ist für mich unabdingbar, dass wir morgen einen Stufen- und Perspektivplan verabschieden“, sagte Günther.
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher mahnte zu Vorsicht. „Wir würden die Krise eher verlängern, wenn wir jetzt zu viele Beschränkungen gleichzeitig aufheben“, sagte der SPD-Politiker der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir müssen eine starke dritte Welle verhindern, bevor uns die Impfungen ausreichend Schutz vor Corona bieten.“ Die Lage sei nach wie vor kritisch. Lockerungen sollten aber auch bei einer Inzidenz, also der Zahl der Corona-Neuinfektionen binnen einer Woche pro 100.000 Einwohner, über 35 möglich sein.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte, man müsse mit Vorsicht und Umsicht öffnen. Es sei eine regionale Differenzierung für diejenigen notwendig, die sehr niedrige Inzidenzen hätten – und umgekehrt eine Notbremse und Hotspot-Strategie für die Bereiche, die sehr weit oben seien, sagte er dem Sender RTL/n-tv.
Ärzte mahnen zur Vorsicht
Die Ärzteverbände sehen die Debatte über weitere Öffnungsschritte mit Skepsis. „Es wäre falsch, einfach einige Bereiche zu öffnen, weil die Menschen lockdownmüde sind“, sagte die Vorsitzende des Bundesverbands der deutschen Amtsärzte, Ute Teichert, der „Rheinischen Post“. Öffnungen sollten nur in Verbindung mit einer gezielten Test- und Nachverfolgungsstrategie erfolgen, mahnte sie. Es gehe jetzt darum, die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückzugewinnen.
Ähnlich argumentierte der Marburger Bund. „Die Öffnungen sollten langsam und stufenweise erfolgen. Es ist wichtig, Folgewirkungen abzuwarten, bevor man den nächsten Schritt macht“, sagte die Vorsitzende Susanne Johna den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Tatsächlich steigen die Infektionszahlen in Deutschland wieder. Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete für heute morgen 3943 neue Fälle und 358 weitere Todesfälle binnen 24 Stunden. Die Sieben-Tage-Inzidenz fiel dagegen leicht auf 65,4 leicht ab.