In vielen Regionen und StädtenJunge Chaoten attackieren Polizisten: Zahlen zeigen, dass Stuttgart kein Einzelfall ist
23. Juni 2020Die Ausschreitungen in Stuttgart irritieren Politik, Justiz und Gesellschaft. Die dabei ausgeübte Gewalt gegenüber der Polizei ist bei genauerem Hinblick jedoch nichts Neues in Deutschland. Das wird durch die Lagebilder des Bundeskriminalamtes bestätigt.
Dutzende Kleingruppen attackieren bei den Unruhen in Stuttgart Vertreter der Staatsgewalt. Es sind erschütternde Bilder, ein offenbar beteiligter Polizist spricht von kriegsähnlichen Zuständen. Jeder, der eine Uniform trage, werde dabei zum Opfer.
Wie die Polizei nun mitteilte, sind die Tatverdächtigen im Alter zwischen 16 und 33 Jahren. Ein allgemeines Problem in Deutschland, denn die Fälle jugendlicher Gewalt gegenüber Polizeibeamten häufen sich.
Jugendliche treten und schlagen Polizisten
Im März 2020 wurden in Regensburg mehrere Polizisten bei dem Versuch, einen 14 Jahre alten Ladendieb zu stoppen, von sechs Jugendlichen attackiert. Einer der Polizisten musste daraufhin mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus. Die Tachtverdächtigen waren 15 bis 18 Jahre alt.
Wochen darauf verweigerten ein 14- und ein 15-Jähriger in Oldenburg die Angaben ihrer Personalien, als sie von der Polizei hinsichtlich einer vermeintlichen Sachbeschädigung aufgehalten wurden und traten die Beamten und bedrohten diese mit dem Tod.
Als die Nürnberger Polizei im Mai diesen Jahres eine Massenschlägerei, bei der Eisenstangen zum Einsatz gekommen sein sollen, unter Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren auflösen wollte, verpasste einer der Involvierten einem Beamten einen Fausthieb und verletzte diesen im Gesicht.
Aber auch in Kleinstädten sind Polizisten/innen nicht sicher vor Angriffen. In Kirchheim unter Teck (40.000 Einwohner) wurde eine Beamtin im Juni von mehreren Jugendlichen bei einer Routine-Kontrolle attackiert – und auf den Boden geworfen.
BKA bestätigt: Mehr Polizisten werden angegriffen
Die Gewaltbereitschaft gegenüber der Staatsgewalt ist angestiegen – diese Tendenz wird auch durch die Bundeslagebilder „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamten“ des Bundeskriminalamtes sowie durch die Studie „Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und Polizeivollzugsbeamte“ des Landeskriminalamtes NRW verdeutlicht.
Mit insgesamt 36.959 Angriffen auf Polizeibeamte gab es 2019 einen Negativ-Rekord, der Durchschnittswert der vergangenen 15 Jahre (25.992) wurde deutlich übertroffen.
Betrachtet man die Altersstruktur der Tatverdächtigen und nimmt dabei nur die jugendlichen Täter unter die Lupe, stellt man prozentual betrachtet in keiner der drei Altersgruppen (14 bis 17 Jahre, 18 bis 20 Jahre, 21 bis 25 Jahre) signifikante Unterschiede über die Jahre hinweg fest. Der Anteil dieser drei Altersgruppen zusammen an den Angriffen gegenüber der Polizei liegt jährlich meist bei 17 bis 20 Prozent.
Bei insgesamt steigender Fall- und Tatverdächtigenanzahl folgt daraus eine stetige Zunahme der jungen Täter. Im Jahr 2014 übten 1523 Jugendliche (Altersgruppe 14 bis 17 Jahre) einen Angriff auf eine/n Polizistin/en aus. Zwei Jahre später stieg diese Zahl auf 1660. 2018 waren es 1760 Angriffe.
Attacken auf Polizei geschehen in ganz Deutschland
Wer vermutet, dass sich die Gewaltausbrüche auf bestimmte Regionen und Städte in Deutschland beziehen, täuscht sich. Das Lagebild des BKA belegt, dass weder Größe der Gemeinde noch das Bundesland ausschlaggebend sind für die Gewaltbereitschaft gegenüber der Polizei.
Die Betrachtung der einzelnen Länder bestätigt, dass Stuttgart kein Einzelfall ist. Zwar gehört Baden-Württemberg zusammen mit Bayern und Nordrhein-Westfalen auf die Polizei stets zu den Regionen mit den höchsten Fallzahlen (alle Altersklassen berücksichtigt), was aber aufgrund der Bevölkerungszahl dieser Länder auch nicht verwunderlich ist. Zudem steigen auch in den anderen Bundesländern die Fallzahlen.
Im Bericht des LKA in NRW wird die gestiegene Brutalität der Übergriffe auf Polizisten/-innen anhand einer Statistik erkennbar. Waren es im Jahr 2018 noch fünf Täter, die eine/n Polizistin/en in NRW mit einer Schusswaffe bedrohten, vergrößerte sich die Zahl binnen einen Jahres auf 21.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sprach hinsichtlich der Ausschreitungen in Stuttgart bereits von einem „Alarmsignal für den Rechtsstaat“. Klar ist anhand dieser Zahlen, dass er damit den Rechststaat im ganzen Land meint.