Sputnik V – Ein Vakzin gegen die politische Eiszeit?
20. März 2021Stand: 20.03.2021 12:51 Uhr
Die Beziehungen zwischen Russland und der EU sind auf dem Tiefpunkt. Das Misstrauen sitzt inzwischen so tief, dass selbst ein dringend benötigter Impfstoff zum Politikum geworden ist.
Von Christina Nagel, ARD-Studio Moskau
Das russisch-europäische Verhältnis leidet schon länger. Die Krim-Annexion, der Krieg im Donbass, der Streit um die Ostseepipeline Nordstream II, Hackerangriffe, Desinformationskampagnen und Sanktionen, vor allem aber der Fall Nawalny setzen der Beziehung zu. Der Kollaps droht.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat erklärt, dass mit der amtierenden russischen Führung keine geopolitische Partnerschaft möglich sei. So sei es, wenn sie das so wollen, entgegnete darauf Russlands Außenminister Sergej Lawrow Anfang Februar, etwas verschnupft. Die EU sei ein unzuverlässiger Partner, warf er dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell bei dessen Besuch in Moskau öffentlich vor. Russland aber sei vorbereitet – frei nach dem Motto: Wenn du Frieden willst, bereite dich auf Krieg vor.
Gemeinsame Interessen
So hoffnungslos dies alles klingt: Tot ist die Beziehung trotzdem nicht. Auch wenn man sich inzwischen mehr als Gegner, denn als Partner sehe, so Borrell: „Russland ist unser größter Nachbar. Und ein Teil Europas. Ein Miteinander mit Russland ist deshalb von zentraler Bedeutung für die Europäische Union“, sagte er. Die EU sei der wichtigste Handelspartner Russlands.
Es gibt gegenseitige Abhängigkeiten, auch im Energiesektor. Es gibt internationale Krisen und Konflikte, die gemeinsames Handeln erfordern. Und: Es gibt die Pandemie.
Ein Impfstoff als Kitt?
„Wäre es nicht richtig und wichtig, endlich offen und ehrlich über den Zugang zu Impfstoffen zu reden?“, fragte Parlamentssprecher Wjatscheslaw Wolodin in dieser Woche den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. „Menschen sterben. Sie selbst warten auf einen Impftermin und er wird nicht vor Juni stattfinden. Warum können die Bürger einen Impfstoff, den es gibt, nicht bekommen?“, fragte Wolodin.
Gemeint ist der russische Impfstoff Sputnik V, dessen Zulassung und Einsatz aus Sicht von Experten gleich doppelt Wirkung entfalten könnten. Im Kampf gegen das Corona-Virus und gegen die zunehmende Sprachlosigkeit auf beiden Seiten.
„Wir müssen die Bereiche finden, in denen wir uns einig sind – und wieder Vertrauen aufbauen“, hatte der EU-Außenbeauftragte Borrell in Moskau erklärt. Und dabei auch auf den Impfstoff und den gemeinsamen Kampf gegen Covid 19 verwiesen.
Russland fordert faires Zulassungsverfahren
Dazu aber müsste es aus russischer Sicht erst einmal ein faires Zulassungsverfahren bei der EU-Arzneimittelbehörde EMA geben. Das vermissen russische Forscher ebenso wie Politiker.
Dabei geht es weniger um Aussagen, wie die des EU-Ratspräsidenten Charles Michel, dass Russland den Impfstoff für Propagandazwecke nutze, als vielmehr um einen Talkshow-Auftritt der Verwaltungsratschefin der EMA. Sie hatte davor gewarnt, Sputnik V in einzelnen EU-Staaten schon vor der Prüfung einzusetzen. Das sei Russisch Roulette, könnte also tödliche Folgen haben.
Deutschland ist Nachzügler bei Sputnik V
Die Wirksamkeit von Sputnik V sei längst erwiesen, konterte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Das Vakzin sei inzwischen in über 50 Ländern zugelassen: „Die Nachfrage nach diesem Vakzin, das Impfen in vielen Ländern, belegt, wie beliebt unser Impfstoff ist“, sagte er.
Dass sich inzwischen immer mehr Politiker – auch in Deutschland – für eine Zulassung und Verwendung von Sputnik V aussprechen, dürfte die Empörung etwas lindern.
Russland kritisiert Sanktionen
Über den Berg ist man deshalb trotzdem nicht. Zu groß ist das gegenseitige Misstrauen. Präsident Waldimir Putin warf dem Westen unlängst vor, nicht nur aggressive Rhetorik zu benutzen: „Es geht auch um reale Handlungen.“
Der russische Präsident dürfte dabei auch die Sanktionen der EU im Sinn gehabt haben, die der russische Außenminister Sergej Lawrow regelmäßig als grundlos, rechtswidrig und kontraproduktiv geißelt: „Wir sehen, dass die Europäische Union immer öfter diplomatische Kunst durch Sanktionen ersetzt. Das schlechte Beispiel der USA scheint da ansteckend“, sagte er.
Noch ein weiter Weg
Russland beklagt eine permanente Einmischung in innere Angelegenheiten, Doppelstandards und eine sich ausbreitende Russlandfeindlichkeit in der EU. Diese wirft ihrerseits Russland vor, Menschenrechte zu missachten, internationale Verpflichtungen nicht einzuhalten, zu spalten und zu drohen. Verbale Attacken und mediale Kampagnen, Sanktionen und Gegenmaßnahmen sind inzwischen weit häufiger als Bekenntnisse zum Miteinander.
Vorbei die Zeit, als man von einem Europa von Lissabon bis Wladiwostok sprach. Mehr als die Hälfte der Russen hält einer aktuellen Umfrage zufolge Russland nicht einmal mehr für ein europäisches Land. Der Weg zurück zu einem normalen, gesunden Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union wird allen Seiten einiges an Ausdauer und gutem Willen abverlangen.